Mediensucht früh erkennen und Angebote machen

Entwicklung und Erziehung
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von Christine Kammerer
Die Bedeutung von Medien ist in Zeiten von COVID-19 größer als je zuvor. Die Digitalisierung wird durch die Corona-Pandemie massiv beschleunigt und die Mediennutzung hat sich deutlich intensiviert. So betrug allein die Onlinezeit von Jugendlichen im Jahr 2019 rund 205 Minuten, im Jahr 2020 waren es 258. Mit der gestiegenen Medien-Aktivität nimmt auch die problematische und suchtartige Nutzung zu.
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Die Bedeutung von Medien ist in Zeiten von COVID-19 größer als je zuvor. Die Digitalisierung wird durch die Corona-Pandemie massiv beschleunigt und die Mediennutzung hat sich deutlich intensiviert: Die Nutzungsdauer ist enorm gestiegen. So betrug allein die Onlinezeit von Jugendlichen im Jahr 2019 rund 205 Minuten, im Jahr 2020 waren es 258. Mit der gestiegenen Medien-Aktivität nimmt auch die problematische und suchtartige Nutzung zu.

Zahlen und Fakten zur Mediennutzung

Im Herbst 2019 wurden Kinder, Jugendliche und deren Eltern zu ihrem Game- und Social-Media-Konsum befragt. Im Frühjahr 2020 wurde die Befragung unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie wiederholt. 2020 nutzten Kinder und Jugendliche soziale Medien demnach deutlich häufiger als im Herbst 2019. Die durchschnittliche Nutzungsdauer stieg um mehr als eine Stunde auf fast dreieinhalb Stunden pro Tag unter der Woche und auf vier Stunden am Wochenende. Je älter die Kinder und je niedriger der zu erwartende Schulabschluss, desto höher die Nutzungsdauer. Als Motive gaben die befragten Kinder an:
  • Soziale Kontakte aufrecht erhalten (89 %)
  • Langeweile bekämpfen (86 %)
  • Sorgen vergessen (38 %)
  • Medien als Informationsquelle nutzen (37 %)
  • der Realität entfliehen (36 %)
Die meisten Eltern kontrollieren und regeln den Medienkonsum:
  • 80 % der Kinder gaben an, ihre Eltern wüssten, was sie tun.
  • Bei 67 % gibt es zeitliche Regelungen zur Mediennutzung.
  • 51 % werden im Hinblick auf die Nutzungsdauer kontrolliert, Jungen häufiger als Mädchen.

Mediensucht erkennen

Bei der Internetabhängigkeit bzw. Onlinesucht steht die exzessive Internet-Nutzung im Vordergrund. Die Mediensucht umfasst auch andere Medien wie Videos und Computerspiele. Mediensucht ist bis heute nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt und nur unzureichend erforscht. Die Onlinespielsucht wurde erst 2018 in Diagnosekatalog der WHO (ICD-11) als Krankheit aufgenommen. Die mit der Sucht verbundenen Symptome und Begleiterscheinungen gleichen denen, die bei den nicht substanzgebundenen Süchten auftreten.

Suche nach Identität - Sucht nach Anerkennung

Kinder und Jugendliche sind besonders suchtgefährdet, weil Medien Antworten auf ihrer Suche nach Identität liefern. Sie suchen nach Orientierung, experimentieren, probieren Rollen aus und entdecken dabei spielerisch ihre eigene Persönlichkeit. Erwachsene haben spätestens mit einsetzender Pubertät als Vorbilder ausgedient. Die Gruppe der Gleichaltrigen und deren Einstellungen und Verhaltensweisen rückt dann in den Vordergrund. Jugendliche wünschen sich die Anerkennung und Zuwendung dieser Gruppe. Besonders gefährdet sind deswegen auch Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl: Sie erfahren oft mehr Anerkennung durch Bezugspersonen im Internet als im realen Umfeld. Ihre Fähigkeit, zwischen virtuellem und realem Leben zu unterscheiden ist häufig reduziert. Frustrationen im wirklichen Leben kompensieren sie durch Mediennutzung. Es ist eine Flucht in eine Scheinwelt, die Geborgenheit und Gemeinschaftsgefühl vermittelt.

Mediensucht - wann ist es Abhängigkeit?

Die Dauer der Mediennutzung allein ist kein Kriterium für Sucht. Ein Problem liegt vor, wenn gleichzeitig andere Auffälligkeiten auftreten:

Toleranzentwicklung
Der gesamte Tagesablauf wird auf die Mediennutzung abgestimmt. Ziel ist es, möglichst viel Zeit damit zu verbringen. Das Verhalten wird zwanghaft, die „Dosis“ wird gesteigert.

Kontrollverlust
Die Kontrolle über die Mediennutzung geht verloren. Versuche, das zeitliche Ausmaß zu reduzieren oder die Nutzung zu unterbrechen, werden nicht unternommen oder bleiben erfolglos.

Entzugserscheinungen
Kinder und Jugendliche reagieren mit Unruhe, Gereiztheit und Aggressivität, wenn sie von der Mediennutzung abgehalten werden. Sie zeigen sich uneinsichtig für reale Begebenheiten, rechtfertigen, verheimlichen oder verharmlosen ihr Suchtverhalten durch Scheinargumente.

Vernachlässigung des sozialen Umfelds und schulischer Verpflichtungen
Potenziell Süchtige verlieren das Interesse an ihrer Familie und realen Freunden. Sie sprechen in der realen Welt nicht mehr über ihre Bedürfnisse, vernachlässigen schulische Verpflichtungen. Die Leistungen brechen ein.

Isolation
Die Einschränkung der sozialen Beziehungen geht mit einer zunehmenden Isolation einher. Diese verstärkt das Suchtverhalten.

Angebote machen - Prävention und Intervention

Generell ist es wichtig,
  • gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen feste Regeln zur Mediennutzung zu vereinbaren und
  • darauf zu achten, dass diese tatsächlich eingehalten werden.
Eltern sollten sich zudem immer bewusst machen, dass sie Vorbildfunktion haben und sich selbst bei der Mediennutzung ebenfalls an feste Regeln halten.

Es gibt auch in Zeiten von Pandemie und Lockdown eine ganze Fülle von Möglichkeiten der Freizeitgestaltung ohne Medien: Picknick im Zoo, Geocaching und Schatzsuche, Iglu bauen, Spiele für drinnen und draußen, gemeinsam Malen, Verkleiden, Basteln, Kochen, Tanzen oder Musik machen und vieles mehr. Grundsätzlich ist alles wertvoll, was Kinder und Jugendliche aktiviert, ihr Selbstbewusstsein stärkt und sie in eine Gemeinschaft integriert.

Wenn der Verdacht besteht, dass eine manifeste Mediensucht vorliegt, sollte man unbedingt professionelle Unterstützung hinzuziehen. Selbstwert und Ich-Strukturen von Betroffenen müssen dann systematisch gestärkt werden. Sie entwickeln eine höhere Frustrationstoleranz und lernen erfolgreichere Strategien der Konfliktbewältigung. Der eingeengte Handlungsspielraum erweitert sich wieder. Sie können vernachlässigte Aktivitäten und soziale Kontakte wieder aufnehmen. Im Rahmen einer Beratung/Therapie werden auch die Nutzungsgewohnheiten hinterfragt sowie alternative Verhaltensweisen vermittelt und trainiert.

Links
Mediennutzung und Mediensucht in Zahlen

ICD-11: 6C51 Gaming disorder

DAK-Studie: „Mediensucht 2020“ – Eine Wiederholungsbefragung zu Zeiten von Corona

BzgA: Gut hinsehen, gut zuhören, aktiv gestalten! Tipps für Eltern zum Thema „Mediennutzung in der Familie“

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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