Mediensucht frĂŒh erkennen und Angebote machen
Mediensucht frĂŒh erkennen und Angebote machen
Die Bedeutung von Medien ist in Zeiten von COVID-19 gröĂer als je zuvor. Die Digitalisierung wird durch die Corona-Pandemie massiv beschleunigt und die Mediennutzung hat sich deutlich intensiviert. So betrug allein die Onlinezeit von Jugendlichen im Jahr 2019 rund 205 Minuten, im Jahr 2020 waren es 258. Mit der gestiegenen Medien-AktivitĂ€t nimmt auch die problematische und suchtartige Nutzung zu.
Zahlen und Fakten zur Mediennutzung
Im Herbst 2019 wurden Kinder, Jugendliche und deren Eltern zu ihrem Game- und Social-Media-Konsum befragt. Im FrĂŒhjahr 2020 wurde die Befragung unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie wiederholt. 2020 nutzten Kinder und Jugendliche soziale Medien demnach deutlich hĂ€ufiger als im Herbst 2019. Die durchschnittliche Nutzungsdauer stieg um mehr als eine Stunde auf fast dreieinhalb Stunden pro Tag unter der Woche und auf vier Stunden am Wochenende. Je Ă€lter die Kinder und je niedriger der zu erwartende Schulabschluss, desto höher die Nutzungsdauer. Als Motive gaben die befragten Kinder an:
- Soziale Kontakte aufrecht erhalten (89 %)
- Langeweile bekÀmpfen (86 %)
- Sorgen vergessen (38 %)
- Medien als Informationsquelle nutzen (37 %)
- der RealitÀt entfliehen (36 %)
Die meisten Eltern kontrollieren und regeln den Medienkonsum:
- 80 % der Kinder gaben an, ihre Eltern wĂŒssten, was sie tun.
- Bei 67 % gibt es zeitliche Regelungen zur Mediennutzung.
- 51 % werden im Hinblick auf die Nutzungsdauer kontrolliert, Jungen hÀufiger als MÀdchen.
Mediensucht erkennen
Bei der InternetabhĂ€ngigkeit bzw. Onlinesucht steht die exzessive Internet-Nutzung im Vordergrund. Die Mediensucht umfasst auch andere Medien wie Videos und Computerspiele. Mediensucht ist bis heute nicht als eigenstĂ€ndiges Krankheitsbild anerkannt und nur unzureichend erforscht. Die Onlinespielsucht wurde erst 2018 in Diagnosekatalog der WHO (ICD-11) als Krankheit aufgenommen. Die mit der Sucht verbundenen Symptome und Begleiterscheinungen gleichen denen, die bei den nicht substanzgebundenen SĂŒchten auftreten.
Suche nach IdentitÀt - Sucht nach Anerkennung
Kinder und Jugendliche sind besonders suchtgefĂ€hrdet, weil Medien Antworten auf ihrer Suche nach IdentitĂ€t liefern. Sie suchen nach Orientierung, experimentieren, probieren Rollen aus und entdecken dabei spielerisch ihre eigene Persönlichkeit. Erwachsene haben spĂ€testens mit einsetzender PubertĂ€t als Vorbilder ausgedient. Die Gruppe der Gleichaltrigen und deren Einstellungen und Verhaltensweisen rĂŒckt dann in den Vordergrund. Jugendliche wĂŒnschen sich die Anerkennung und Zuwendung dieser Gruppe. Besonders gefĂ€hrdet sind deswegen auch Jugendliche mit wenig SelbstwertgefĂŒhl: Sie erfahren oft mehr Anerkennung durch Bezugspersonen im Internet als im realen Umfeld. Ihre FĂ€higkeit, zwischen virtuellem und realem Leben zu unterscheiden ist hĂ€ufig reduziert. Frustrationen im wirklichen Leben kompensieren sie durch Mediennutzung. Es ist eine Flucht in eine Scheinwelt, die Geborgenheit und GemeinschaftsgefĂŒhl vermittelt.
Mediensucht - wann ist es AbhÀngigkeit?
Die Dauer der Mediennutzung allein ist kein Kriterium fĂŒr Sucht. Ein Problem liegt vor, wenn gleichzeitig andere AuffĂ€lligkeiten auftreten:
Toleranzentwicklung
Der gesamte Tagesablauf wird auf die Mediennutzung abgestimmt. Ziel ist es, möglichst viel Zeit damit zu verbringen. Das Verhalten wird zwanghaft, die âDosisâ wird gesteigert.
Kontrollverlust
Die Kontrolle ĂŒber die Mediennutzung geht verloren. Versuche, das zeitliche AusmaĂ zu reduzieren oder die Nutzung zu unterbrechen, werden nicht unternommen oder bleiben erfolglos.
Entzugserscheinungen
Kinder und Jugendliche reagieren mit Unruhe, Gereiztheit und AggressivitĂ€t, wenn sie von der Mediennutzung abgehalten werden. Sie zeigen sich uneinsichtig fĂŒr reale Begebenheiten, rechtfertigen, verheimlichen oder verharmlosen ihr Suchtverhalten durch Scheinargumente.
VernachlÀssigung des sozialen Umfelds und schulischer Verpflichtungen
Potenziell SĂŒchtige verlieren das Interesse an ihrer Familie und realen Freunden. Sie sprechen in der realen Welt nicht mehr ĂŒber ihre BedĂŒrfnisse, vernachlĂ€ssigen schulische Verpflichtungen. Die Leistungen brechen ein.
Isolation
Die EinschrÀnkung der sozialen Beziehungen geht mit einer zunehmenden Isolation einher. Diese verstÀrkt das Suchtverhalten.
Angebote machen - PrÀvention und Intervention
Generell ist es wichtig,
- gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen feste Regeln zur Mediennutzung zu vereinbaren und
- darauf zu achten, dass diese tatsÀchlich eingehalten werden.
Eltern sollten sich zudem immer bewusst machen, dass sie Vorbildfunktion haben und sich selbst bei der Mediennutzung ebenfalls an feste Regeln halten.
Es gibt auch in Zeiten von Pandemie und Lockdown eine ganze FĂŒlle von Möglichkeiten der Freizeitgestaltung ohne Medien: Picknick im Zoo, Geocaching und Schatzsuche, Iglu bauen, Spiele fĂŒr drinnen und drauĂen, gemeinsam Malen, Verkleiden, Basteln, Kochen, Tanzen oder Musik machen und vieles mehr. GrundsĂ€tzlich ist alles wertvoll, was Kinder und Jugendliche aktiviert, ihr Selbstbewusstsein stĂ€rkt und sie in eine Gemeinschaft integriert.
Wenn der Verdacht besteht, dass eine manifeste Mediensucht vorliegt, sollte man unbedingt professionelle UnterstĂŒtzung hinzuziehen. Selbstwert und Ich-Strukturen von Betroffenen mĂŒssen dann systematisch gestĂ€rkt werden. Sie entwickeln eine höhere Frustrationstoleranz und lernen erfolgreichere Strategien der KonfliktbewĂ€ltigung. Der eingeengte Handlungsspielraum erweitert sich wieder. Sie können vernachlĂ€ssigte AktivitĂ€ten und soziale Kontakte wieder aufnehmen. Im Rahmen einer Beratung/Therapie werden auch die Nutzungsgewohnheiten hinterfragt sowie alternative Verhaltensweisen vermittelt und trainiert.
Links
Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt fĂŒr Migration und FlĂŒchtlinge, Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.