Langeweile fördert Kreativität

Freizeit und Erholung
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von Anna Bahr
Nachdem sich Tim einige Zeit mit seinen Bausteinen beschäftigt hat, fällt ihm jetzt nichts mehr ein, was er spielen könnte. Ihm ist langweilig. Er fängt an zu jammern und zu nörgeln. Tims Unmut setzt seine Eltern unter Druck. Wie sollen sie ihn beschäftigen?
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Sonntagnachmittag. Nachdem sich Tim einige Zeit mit seinen Bausteinen beschäftigt hat, fällt ihm jetzt nichts mehr ein, was er spielen könnte. Ihm ist langweilig. Er fängt an zu jammern und zu nörgeln. Tims Unmut setzt seine Eltern unter Druck. Wie sollen sie ihn beschäftigen? Am besten gar nicht, meinen Wissenschaftler. Denn Langeweile fördert die Kreativität.

Tanzen, Fußball, Töpfern oder Geige. Die Möglichkeiten, sein Kind beschäftigen zu lassen, sind riesig und die Nachmittage vieler Kinder sind durchgeplant wie die eines Erwachsenen. Ihre Eltern bringen sie von einem Kurs zum nächsten. Dazwischen müssen sie Hausaufgaben erledigen oder bekommen außerschulischen Nachhilfeunterricht. Wenn der vollgepackte Tag einmal unerwartete Lücken aufweist und diese Kinder einmal keine Beschäftigung erfahren, beschleicht sie ein ungewohntes Gefühl. Sie wissen nichts mit sich anzufangen. Die Kinder sind zurückgeworfen auf sich selbst und langweilen sich. Erwachsene können sich vielleicht noch an das Gefühl der Gleichförmigkeit erinnern, das sie an scheinbar endlos langen Sonntagen erlebt haben. Stunden, die sich gedehnt haben wie zäher Kaugummi, in denen man zu nichts Lust hatte und in denen die schlechte Laune stetig stieg.
Während viele Kinder jammern, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen, kultivierten Philosophen der Antike das Nichtstun als hohes Gut. Die Muße, auch als Gegenteil der Arbeit verstanden, galt als wohltuende geistige Auszeit. Ziel der Übung war es, schöpferische Energie frei zu setzen. Die unbeliebte Verwandte der Muße heißt Langeweile. Und sie bringt das gleiche Resultat hervor wie die Muße: Sie weckt kreatives Potential im Menschen. Was die Philosophen der Antike unbewusst ahnten, belegen auch Studien der University of Central Lancashir aus dem Jahr 2013: Langeweile fördert die Kreativität.

Entschleunigung ohne Terminplan

Das Phänomen tritt oft zu Beginn der Sommerferien auf. Nachdem sich die Kinder sehnlichst den Beginn der schulfreien Zeit gewünscht haben, tut sich auf einmal ein Zeitfenster auf, das sie selbst füllen müssen. Der feste Terminplan, der sie sonst in Schule und Freizeitaktivitäten eingespannt hat, fällt auf einmal weg. Der Tag scheint unendlich lang und: langweilig. Die Kinder fordern von ihren Eltern Beschäftigung. Haben Mutter und Vater die nötige Zeit und Energie werden sie vielleicht mit ihnen spielen, manche schalten auch einfach den Fernseher an oder geben bereitwillig ihr Smartphone zum Spielen. Für einen kurzen Moment haben sie dann vielleicht ihre Ruhe. Aber die Situation wird sich wiederholen. Nach kurzer Zeit wird dem Kind auch diese Aktivität fad erscheinen und nach weiterer Beschäftigung fordern. Was würde aber passieren, wenn Eltern ihre Kinder die Langeweile einfach durchleben lassen?

Langweilen ohne schlechtes Gewissen

Wissenschaftler haben nicht nur herausgefunden, dass Langeweile nützlich für die Kreativität ist, sondern fordern sie sogar für die gesunde Entwicklung von Kindern ein. Das Kind müsse sich aus diesem als zäh empfundenen Zustand selbst befreien. Es müsse tätig werden, um wieder ein ausgeglichenes Selbstverhältnis zu empfinden.
Aus dem Alltag wissen Eltern aber, wie schwer es für ihre Kinder ist, aus der inneren Unzufriedenheit herauszufinden. Eltern sollten das Experiment aber wagen und nicht eingreifen, denn nach einiger Zeit des Unmuts finden Kinder von allein zu einer Aktivität. Ihre Fantasie kommt wieder in Bewegung, sie spüren ihr wirkliches Selbst, so die Erfahrung des Erziehungsexperten Jesper Juul. Der Autor vieler Erziehungsratgeber plädiert ausdrücklich dafür, Kinder die Erfahrung der Langeweile machen zu lassen: „Langeweile ist der Schlüssel zur inneren Balance - egal in welchem Alter. [...] Was sich noch vor einer Stunde wie eine unangenehme Stille anfühlte, erzeugt plötzlich inneren Frieden und wird zur emotionalen Aufladestation.“ Juul geht sogar noch weiter und rät Eltern, sich gemeinsam mit ihren Kindern zu langweilen. So würden Gespräche entstehen, „die nur auftauchen, wenn der "Unterhaltungsmodus" ausgeschaltet ist.“ Erst so könne eine echte Nähe wachsen. Eltern können mit ihrem Kind über Dinge sprechen, die nichts mit den täglichen Aufgaben zu tun haben, über das Leben philosophieren oder einfach gemeinsam herumalbern. Natürlich habe Juul nichts gegen Eltern, die sich mit ihren Kindern beschäftigen, mit ihnen Fahrradtouren unternehmen, Höhlen bauen oder Verstecken spielen. Ihm ginge es darum, Eltern den Druck aus der Erziehung zu nehmen. Mütter und Väter müssen sich, so seine Empfehlung, nicht für ihre Kinder verbiegen und sie ständig beschäftigen. Langweilen ist also durchaus erlaubt und Eltern müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn der Nachwuchs nichts mit sich anzufangen weiß.

Langeweile als Motor

Viele Erwachsene halten Langeweile ebenso schlecht aus wie Kinder. Das ist nicht weiter verwunderlich. Unser gesellschaftlicher Wert misst sich immer noch an unserer Nützlichkeit und Produktivität. Momente, in denen man keine Aufgabe oder Beschäftigung hat, gelten als Zeitverschwendung. Langeweile wird sogar oftmals mit Faulheit gleichgesetzt. Die wenigsten Menschen sehnen sich daher nach diesem Zustand und wenige machen ihn sich zu nutze. Dabei ist Langeweile für Erwachsene ebenso förderlich wie für Kinder. Einmal zur Ruhe kommen, in sein Inneres horchen und sich nach seinen wirklichen Bedürfnissen befragen. In vielen Kreativ-Berufen sind Momente des Nichtstuns sogar ausdrücklich erwünscht. Denn oftmals kommen in solchen Pausen gute Ideen oder sogar Geistesblitze. Wer in seinem Alltag keine Zeit für Langeweile hat, kann auch die kleinen Momente nutzen, um einmal nichts zu tun. Das Warten an der Supermarktkasse ohne Blick auf das Smartphone überstehen und statt dessen die Gedanken schweifen lassen. Oder während der Mittagspause einfach mal aus dem Fenster gucken und träumen. Das ist zwar von Langeweile noch weit entfernt, aber immerhin ein Anfang auf dem Weg zur Kreativität.

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Themen:
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Über den Autor/die Autorin

Anna Bahr hat an der Universität Leipzig ihr Germanistik- und Philosophiestudium abgeschlossen. Seit einigen Jahren arbeitet sie als freie Redakteurin. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Kinder und Familie sowie Kunst und Kultur.

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