Erfolgsdruck durch Eltern

Entwicklung und Erziehung
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von Hildegard Dierks

Erfolgsdruck ist eine Begleiterscheinung unserer Leistungsgesellschaft. Eltern, die ihre Kinder darin unterstützen, reif für eine erfolgreiche Teilnahme an unserer Gesellschaft zu werden, verkörpern die Erwartungen der Gesellschaft. Sie müssen ihren Kindern mit Liebe und Nachdruck erklären, warum es gut ist, engagiert zu lernen und Regeln zu befolgen. Eltern sollen darüber hinaus erfolgreiche Vorbilder für ihre Kinder sein. Das kann zu Übertreibungen führen.

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Erfolgsdruck ist eine Begleiterscheinung unserer Leistungsgesellschaft. Eltern, die ihre Kinder darin unterstützen, reif für eine erfolgreiche Teilnahme an unserer Gesellschaft zu werden, verkörpern die Erwartungen der Gesellschaft. Sie müssen ihren Kindern mit Liebe und Nachdruck erklären, warum es gut ist, engagiert zu lernen und Regeln zu befolgen. Eltern sollen darüber hinaus erfolgreiche Vorbilder für ihre Kinder sein. Das kann zu Übertreibungen führen. Wie zeigt sich Erfolgsdruck durch Eltern heute? Hat sich Erfolgsdruck durch Eltern im Gegensatz zu früher geändert?
 

Eltern und Schullaufbahn – Nach der Grundschulzeit

In immer mehr Bundesländern, z.B. in Nordrhein-Westfalen, ist es so, dass Eltern entscheiden können, ob ihr Kind nach der Grundschulzeit - relativ unabhängig vom Notendurchschnitt - ein Gymnasium besuchen wird oder nicht.

Befürworter dieser Entscheidungsbefugnis für Eltern betonen die guten Gründe, warum es gut ist, wenn Eltern diese Möglichkeit haben. Sie meinen, dass eine Beurteilung der Grundschulkinder durch Zensuren und den Grundschullehrer zu so einem frühen Zeitpunkt nicht möglich ist. Grundschulkinder würden so leicht frühzeitig um Chancen beraubt werden. Insgesamt seien Kriterien, die traditionell von Bildungsministerien und Lehrern herangezogen werden, um eine Empfehlung pro oder contra Gymnasium auszusprechen zu unsachlich sind. Ein Kind, dass in einer leistungsstarken Klassengemeinschaft die Zensur „befriedigend“ bekommt, würde in einer leistungsschwachen Klassengemeinschaft für dieselbe Leistung mit „gut“ bewertet.

Wenn Eltern nun die Freiheit haben über die weiterführende Schulform zu entscheiden, können sie nicht nur entscheiden sondern sie müssen es auch. Durch die Freiheit der Eltern, die sich über unverbindliche Empfehlungen seitens der Schule hinwegsetzen können, ist der Druck in der Grundschule für die Kinder zunächst einmal nicht so groß.

Es gibt jedoch interessante Erfahrungen mit der „Elternwahlfreiheit“. Man stellte fest, dass Eltern, die selbst die Allgemeine Hochschulreife erworben haben und studiert haben, sich häufiger über negative Leistungen ihrer Kinder hinwegsetzen und ihr Kind beim Gymnasium als weiterführende Schulform nach der Grundschulzeit anmelden. Vermutlich, weil der Besuch des Gymnasiums ihrer Kinder zu ihrem Selbstverständnis gehört oder weil sie hinter die Kulissen schauen können.

Eltern, die ihrerseits kein Abitur haben, melden ihr Kind, das gute Voraussetzungen fürs Lernen am Gymnasium hat, dagegen häufig nicht am Gymnasium an. Sie haben in dieser Hinsicht andere Pläne und einen anderen Ehrgeiz.

Kinder von Akademikereltern, laufen also stärker als andere Kinder Gefahr durch ihre Eltern in schulische Situationen gebracht zu werden, denen sie nicht gewachsen sind. Sie stehen unter Erfolgsdruck am Gymnasium.

Dieses Phänomen sollte in Elternberatungsgesprächen zum Übertritt an weiterführende Schulen unbedingt ein Thema sein. Akademikereltern sind sich vermutlich nicht immer bewusst, welchen unbewussten Zwängen sie ihrerseits unterliegen, welchen Erfolgsdruck sie auf ihr Kind ausüben. Auch Kinder von Akademikereltern erkennen sehr wohl, wenn ihre Leistungen nicht so überzeugend sind und empfinden sich im Stillen fehl am Platze am Gymnasium.

 

Der Machbarkeitswahn unserer Zeit

Interessierte Eltern informieren sich in vielen Ratgebern und Elternkursen, was dem Wohl des Kindes zuträglich ist. Auf fast jedes Problem scheint es eine Antwort zu geben, zumindest ist eine Besserung möglich.

Man muss nur all die guten Ratschläge in die Tat umsetzen und zwar gemeinsam mit dem Kind. Eltern stehen in dieser Hinsicht vielfach unter Druck, alles was machbar ist auch zu tun und dieser Druck wird an die Kinder weitergegeben.

Das Kind hat Probleme mit der Rechtschreibung – Eltern können ein Lernprogramm kaufen oder es wird beim Nachhilfeinstitut angemeldet.

Das Kind zeigt hier und da herausforderndes, asoziales Verhalten – Es muss zum Schulpsychologen und bekommt Ergotherapie.

Das Kind ist leicht übergewichtig – Eltern gehen zum Kinderarzt, erhalten Ernährungstipps und das Kind wird zum Sport angemeldet, damit es in der Schule nicht gehänselt wird.

Das Kind hat schiefe Zähne – Es bekommt eine Zahnspange. Es werden viele Kontrolltermine notwendig und der Kauf spezieller, teurer Utensilien zur Zahnreinigung wird erforderlich. Schließlich soll das eigene Kind nicht wegen schiefer Zähne gemobbt werden.

Eltern können sehr viel tun, um Kinder zu fördern, sie in vielerlei Hinsicht wettbewerbfähig zu machen. Trotzdem sind Eltern aufgefordert, genau zu prüfen, welches Problem so wichtig ist, dass es konsequent und mit Priorität behandelt werden muss, um nicht zuviel (Zeit)-Druck auf Kinder auszuüben. Niemand ist perfekt. Das gilt auch für Schülerinnen und Schüler. Wir können fördern, aber jeder pädagogische Optimismus hat seine Grenzen. Auch ein Kind kann nicht jeden Tag alles geben. In einer aktuellen Familienstudie der AOK im März 2014 stellte sich Zeitmangel bei Eltern als der wichtigste Faktor heraus, der sich negativ auf die körperliche und seelische Gesundheit der gesamten Familie, insbesondere der Kinder auswirkt. Es wird vermutet, dass dieser schädliche Zeitstress auch dadurch entsteht, dass sogenannte Mittelschichteltern ihre Kinder durch sehr viel außerschulische Förderung z.B. Sport, Musikunterricht etc. in eine gute gesellschaftliche Position bringen möchten.

Eltern und Lehrer haben nicht nur die Aufgabe zu fördern und Zielvorgaben zu machen sondern sind auch verpflichtet Schülerinnen und Schüler in die Lage zu versetzen, Grenzen und Misserfolge fair hinzunehmen ohne sozial auffällig zu werden. Schülerinnen und Schüler können nicht lernen Grenzen zu akzeptieren, wenn sie von ihren Eltern permanent unter Druck gesetzt werden oder durch ein Zuviel an Förderung überreizt werden.

 

Lifestyleprodukte für Kinder

Immer häufiger verabreichen Eltern ihren Kindern heutzutage Medikamente oder Vitamintabletten bzw. –säfte, die angeblich Lernprobleme beseitigen können. Auch auf diese Weise wird Elterndruck auf Kinder ausgeübt. Von sich aus kommen insbesondere jüngere Kinder nicht auf die Idee solche Mittel einzunehmen. Diese Form Erfolgsdruck auf Kinder auszuüben ist eher moderner Natur.

Der Markt für sogenannte „Lernvitamine“ in Form von frei verkäuflichen Vitaminpräparaten ist erschreckend groß. Das ist ein Zeichen dafür, dass es eine Nachfrage gibt. Schülerinnen und Schüler, die von ihren Eltern solche Präparate erhalten, um besser zu lernen, bekommen das Gefühl, dass sie nicht in Ordnung sind, gar krank sind und Medizin brauchen. Das ist schädlich und kann unter Umständen eine Medikamentenabhängigkeit fördern. Die ständige Zufuhr von Extravitaminen ist darüber hinaus keineswegs als gesundheitlich unbedenklich zu betrachten. Auf diese Weise können regelmäßige, gesunde Mahlzeiten ersetzen.

 

Psychopharmaka für Schülerinnen und Schüler

Erfolgsdruck durch Eltern zeigt sich noch an anderer Stelle. Nicht nur Lifestyleprodukte werden Kindern von Eltern verabreicht sondern immer häufiger auch Psychopharmaka. Kinder werden von ihren Eltern beim Kinderarzt vorgestellt, weil sie Verhaltensstörungen und Schulprobleme zeigen, die Eltern nicht beheben können.

Mit Einverständnis oder gar auf Wunsch der Eltern erstellt der Kinderarzt ein Rezept über ein Psychopharmakon, damit Kinder in der Schule erfolgreicher lernen und sie den Erwartungen gerecht werden.

Ritalin und ähnlich wirkende Mittel sind an dieser Stelle zu nennen. Das sind Medikamente, die aus unruhigen Kindern, konzentrierte Schülerinnen und Schüler machen sollen. Die Verschreibung dieser Medikamente hatte sowohl an Häufigkeit wie auch in ihrer Dosis so drastisch zugenommen, dass von gesundheitspolitischer Seite eine Reglementierung durch den (G-BA= Gemeinsamer Bundesausschuss) von Ärzten, Kliniken und Kassen vorgeschlagen wurde und in Folge erlassen wurde. Diese Medikamente sollen nur noch durch Spezialisten (Kinder- und Jugendpsychiater mit sozialpsychiatrischer Zusatzqualifikation) nach sorgfältiger Diagnose verschrieben werden. Längst nicht alle unruhigen, unkonzentrierten Schülerinnen und Schüler leiden an einem ADHS-Syndrom oder ADS-Syndrom. Kinder, die Ritalinpräparate ohne sorgfältige Diagnose falsch einnehmen, erfahren mehr Schaden als Nutzen durch das Präparat.

„Medikamente und Vitamintabletten, die Lernen erleichtern“ könnte ein wichtiges Thema für einen Elternabend sein oder eine Gelegenheit, einen fachkundigen Referenten zu einem Vortrag zum Thema in der Schule einzuladen. Eltern können – auf diese Weise informiert – selbstbewusst „Nein“ sagen und auch Druck, der von außen aufgebaut wird, widerstehen.

 

Erfolgsdruck durch Eltern am Zeugnistag?

Ohne Frage ist der Tag, an dem Zeugnisse verteilt werden, immer noch ein spannender Tag. Sind die Zeugnisnoten nicht so überzeugend, wird gerade an diesem Tag Erfolgsdruck durch Eltern oder Leistungsdruck allgemein offenkundig. Eltern sind enttäuscht, schimpfen sowohl über Lehrer als auch über ihre Kinder und zeigen sich überfordert.

Die Leistungsstärke eines Schülers zeichnet sich meistens ab. Eltern, die sich interessieren und die ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Kind haben, wissen in etwa, was sie am Zeugnistag erwartet. Dann kann der Zeugnistag nicht mit einem plötzlichen Schock verbunden sein, aber dennoch manchmal mit einem Gefühl der Enttäuschung und Ratlosigkeit, wenn man alles Schwarz auf Weiß liest. Das Familienleben wird oft dominiert vom Schulerfolg der Kinder, der unbedingt herbeigeführt werden muss. Eltern empfinden die tatsächliche oder vermeintliche starke Leistungsorientierung in der Schule nicht selten selbst als unangenehm. Sie sind durch G8-Abitur und die neuen Schulformen verunsichert wie die jüngste Studie der Konrad Adenauer Stiftung zum Thema „Eltern-Lehrer-Schulerfolg“ aufzeigt. Die Studie deutet noch etwas anderes an: Eltern und Kinder stehen heute anders als früher oft Seite an Seite unter schulischem Leistungsdruck und fordern z.B. gemeinsam die Abschaffung des G8-Abiturs, damit das Kind nicht ins Abseits gerät. Schulversagen eines Kindes wird oft als ein Versagen der Familie gesehen.

Sehr gute oder gute schulische Erfolge gehen einher mit einer hohen Leistungsbereitschaft und einer hohen Motivation zu lernen. Die jüngste Studie der Konrad Adenauer Stiftung zum Thema „Eltern-Lehrer-Schulerfolg“ zeigt aus Sicht der Lehrer auf, dass diese Leistungsbereitschaft bei Schülerinnen und Schülern oft nicht gegeben ist.

Eine wichtige Frage wäre also, wie die Bereitschaft zur Leistung, die Lust am Lernen gesteigert werden kann, so dass der Wunsch erfolgreich zu sein kein Traum bleiben muss

 

Kommentar: Realistische Einschätzung...

Erfolgsdruck durch Eltern ist in unserer modernen Gesellschaft ein Bildungsdruck. Eltern empfinden diesen Druck oft gemeinsam mit ihren Kindern. Früher hatten Eltern z.B. den Ehrgeiz ihre Tochter gut zu verheiraten. Heute soll sie möglichst ein Studium erfolgreich absolvieren bevor sie ihr privates Glück sucht.

Eltern haben den verständlichen Wunsch, dass ihre Kinder eine erfolgreiche Schullaufbahn absolvieren. Versagen Kinder in der Schule oder zeigen sie Schwäche, entwickeln manche Eltern Schuldgefühle oder geben den Lehrkräften die Schuld für die schlechten Leistungen ihrer Kinder.

Und manche Eltern stehen ihrerseits oft selbst so unter Druck, dass sie diesen Erfolgsdruck an ihre Kinder weiter geben, ohne dass sie ihnen behilflich sind, mit Situationen der dauerhaften Überforderung konstruktiv umzugehen. Viele Kinder sind heute Einzelkinder und das einzelne Kind läuft Gefahr all die Hoffnungen und Erfolgserwartungen der Eltern erfüllen zu müssen. Ein Kind soll ein „Erfolgsprojekt“ sein neben Erfolg im Beruf.

Früher war es ein legitimes Mittel „liebender“ Eltern für eine schlechte Leistung eine Backpfeife oder gar Prügel auszuteilen. Das passiert heute zum Glück nicht mehr so oft. Dennoch fehlt es auch heute einigen Eltern an erzieherischem Vermögen aber auch an der Großzügigkeit zum Wohle des Kindes von eigenen Erfolgserwartungen abzulassen. Eltern möchten oft die Anstrengung und Überforderung ihrer Kinder nicht sehen, scheint doch bei anderen Kindern alles so leicht zu sein. Schülerinnen und Schüler brauchen ihre Eltern aber vor allem als ein starkes Gegenüber, um ihre eigenen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten realistisch einschätzen zu können. Dazu sind vertrauensvolle Gespräche und eine gute Beobachtungsgabe der Eltern wichtig. Was erledigt ein Schüler ohne angetrieben zu werden und mit Freude? Was kann eine Schülerin auch an einem Tag schaffen, an dem sie Streit mit einem Klassenkameraden hatte?

Erfolgreich lernen heißt nicht in jedem Fall eine akademische Laufbahn zu absolvieren. Denn schon heute zeichnet sich sowohl eine Überakademisierung unserer Gesellschaft ab und gleichzeitig ein Fachkräftemangel in Industrie und Handwerk. Ein Kind ist nicht gescheitert, nur weil es das Abitur nicht schafft. Eltern sollten und können ihre Vorstellung über Bildungserfolg weiter fassen als sie es oft tun.

 

Link- und Buchtipps

Linktipp:

Kernaussagen zur Studie „Eltern-Lehrer-Schulerfolg“ der Konrad Adenauer Stiftung e.V. von 2013
www.kas.de

Buchtipps:

Kösel Verlag 4. Auflage 2011: Wolfgang Bergmann Lasst eure Kinder in Ruhe!: Gegen den Förderwahn in der Erziehung

Carl Honoré Kinder unter Druck: Rettet die Kindheit vor Schule und Übereltern

Fackelträger Verlag 2008: Josef Kraus Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung

 

 

 

 

 

 

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Über den Autor/die Autorin

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

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