Stressiges Familienleben: Den Alltag entschleunigen

Freizeit und Erholung
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von Anna Bahr
Ein bekanntes Szenario für Mütter und Väter: Nach einem langen Tag im Büro muss die Tochter aus der Schule abgeholt und zum Schwimmen gefahren werden. Der Sohn wartet im Kindergarten und es fehlt noch Brot für das Abendessen. Zu Hause liegt ein Berg Wäsche und im Email-Postfach blinken unbeantwortete Nachrichten. Ein entspannter Nachmittag sieht anders aus. Doch wie können Familien ihr Leben entschleunigen?
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Ein bekanntes Szenario für Mütter und Väter: Nach einem langen Tag im Büro muss die Tochter aus der Schule abgeholt und zum Schwimmen gefahren werden. Der Sohn wartet im Kindergarten und es fehlt noch Brot für das Abendessen. Zu Hause liegt ein Berg Wäsche und im Email-Postfach blinken unbeantwortete Nachrichten. Ein entspannter Nachmittag sieht anders aus. Doch wie können Familien ihr Leben entschleunigen?

Das Leben als Familie kann stressig sein. Neben Job und Haushalt häufen sich meist weitere Verpflichtungen und auch die Kinder fordern Aufmerksamkeit und Zuwendung. Das hohe Tempo, mit dem sich ein durchschnittlicher Erwachsener durch das Leben kämpft, lässt kaum Raum für eigene Bedürfnisse. Das Gefühl, von einem Termin zum nächsten zu hetzen, belastet heutige Eltern, das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage unter Müttern und Vätern des AOK-Bundesverbandes. Das größte Problem für Familien, so die Ergebnisse der Untersuchung, sei Stress durch zu wenig Zeit. Eine Antwort auf diesen Zeitmangel bietet die Idee der Entschleunigung. Entschleunigung bedeutet das Gegenteil von Beschleunigung und meint, man solle die Dinge langsam angehen und ohne ständigen Blick auf die Uhr im Hier und Jetzt leben. Was auf den ersten Blick gar nicht so einfach umzusetzen scheint, ist aber wichtig für die eigenen Kraftreserven. Denn Ruhephasen sind wichtig, um Energie für neue Aktivitäten aufzuladen. Dass das Thema Entschleunigung ein aktueller Trend ist, spiegelt sich auch deutlich auf dem Zeitschriftenmarkt. Mittlerweile existieren über 20 Magazine, die den Leser zu mehr Achtsamkeit gegenüber eigenen Ichs anhalten. Thematisch bewegen sie sich zwischen Mandala-Vorlagen, veganem Essen und dem Leben auf dem Land. Die Sehnsucht nach Ruhe kann Zukunftsforscher Matthias Horx verstehen. „Jeder Trend hat einen Gegentrend“ erklärt er der Zeit-Online. Während das Internet unser Leben mit Informationen und News überfluten würde, wollen viele Menschen einfach nur abschalten. Doch wie können Familien der Hektik des Alltags entgegenwirken?

Routinen gegen Stress

Das Leben langsamer anzugehen und sogar aktiv gegen das rasante Tempo im Alltag anzukämpfen, erscheint ein großes Unterfangen. Der Haushalt macht sich nicht von alleine und Termine müssen eingehalten werden. Manchmal ist Entschleunigung aber auch eine Frage der Prioritäten. Gibt es vielleicht Termine, die man getrost verschieben oder sogar canceln kann? Dabei hilft auch ein Blick in den Kalender der Kinder und die Frage, wie viele Nachmittagsveranstaltungen wirklich sinnvoll sind. Klar macht der Schwimmkurs genauso viel Spaß wie Ballett. Aber auch Kinder brauchen unverplante Zeit, in der sie spielen, Freunde treffen oder einfach nur zur Ruhe kommen können. Wer seinen Wochenplan abgespeckt hat, kann in seinen Alltag auch Routinen einbauen, die täglich Zeit und Energie sparen. Wer zum Beispiel abends den Kindern schon die Sachen für den nächsten Tag bereit legt, umgeht unnötige Diskussionen am nächsten Morgen. Aber auch ein fester Termin für den Wocheneinkauf kann für Familien entlastend sein. Denn wer Vorräte im Küchenschrank hat, vermeidet den täglichen Weg zum Supermarkt.
Zu Routinen gehören auch Ordnungssysteme. Was sich so banal anhört, hat in der Arbeitswelt sogar den fachlichen Begriff „prozessorientiertes Management“ und stellt die grundlegende Frage, wer was wann macht. Im Alltag sparen solche Ordnungssysteme Zeit und Nerven. Ganz einfach kann es schon bedeuten, dass der Schlüssel immer am gleichen Platz ist. Oder dass klar ist, wer wann für die Wäsche oder den Müll verantwortlich ist. Mit diesen strukturierten Aufgabenbereichen vermeiden Familien auch, dass sich nur ein Partner für alles verantwortlich fühlt.

Raus in die Natur

Technik dringt mittlerweile in fast jeden Bereich unseres Lebens. Das Smartphone ist unser täglicher Begleiter und selbst in der Grundschule arbeiten Schüler schon mit dem Computer. Eine Pause vom Bildschirm macht den Blick für das Wesentliche frei. Ein Spaziergang im Park - ohne Ziel und ohne Plan - vertreibt den Stress des Tages. Mit diesem Abstand von Schule und Arbeit an der frischen Luft ergeben sich ganz nebenbei auch Gespräche mit ihrem Kind über den Alltag. Der Ärger mit der Lehrerin und der Streit mit dem Freund lassen sich in Bewegung viel besser von der Seele reden als zwischen vollen Wäschekörben und dem Abwasch. Außerdem unterbricht die körperliche Betätigung negative Gedanken und schafft Abstand zu Sorgen des Alltags.

Die Welt ausschalten

Ganz nebenbei mal eine Nachricht von der Freundin beantworten, eben mal das Profilbild bei Facebook aktualisieren - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, erzeugt die permanente digitale Verfügbarkeit Stress. Das Telefon ist unser ständiger Begleiter und meldet sich bei vielen schon am Frühstückstisch. Der Zwang, auf jede Nachricht sofort reagieren zu müssen, raubt uns wertvolle Zeit für die Familie. Klare Smartphone-Auszeiten schaffen kleine Zeit-Inseln, in denen man das Hier und Jetzt genießen kann. Denn: Die Email vom Chef kann man auch noch später lesen, aber die Zeit mit den Kindern kommt nicht wieder.

Das Leben locker nehmen

Entschleunigen heißt auch loslassen können und das Leben nicht so ernst zu nehmen. Beim Frühstück kippt die Milch auf das frische T-Shirt des Nachwuchses? Sicher hat es das Kind nicht mit Absicht getan. Statt zu schimpfen und den Morgen mit schlechter Laune zu beginnen, könnten sie gemeinsam über das Missgeschick lachen. Denn Lachen baut Anspannung ab und erzeugt Abstand zu einer Situation.
Natürlich wäre es schön, wenn die Wohnung immer glänzt, die Wäsche gebügelt und der Garten gepflegt ist. Perfektionisten setzen sich aber selber unter Druck. Sie verfolgen sehr hohe Ansprüche und können Aufgaben schlecht abgeben. Weil sie von einer Aufgabe zur nächsten hetzen, verlieren sie dabei ihre eigenen Bedürfnisse aus dem Blick. Hier hilft der Mut zum locker lassen. Eine realistische Liste mit Aufgaben kann helfen, die Dinge besser über die Woche zu verteilen. Auch Pausen beziehungsweise Zeiten zum Nichts tun sollten fest eingeplant werden, damit Hektik und Stress nicht zum Lebensmittelpunkt werden.

Von Kindern lernen

Wer mehr Ruhe in seinen Familienalltag bringen möchte, braucht eigentlich nur auf seine Kinder zu schauen und von ihnen zu lernen. Kinder widmen sich jeder Situation mit voller Hingabe. Bei den Allerkleinsten kann man das am besten beobachten: Ein Regenwurm liegt auf dem Weg? Ein guter Grund, um stehen zu bleiben und ihn zu beobachten. Kinder sind wahre Meister darin, im Hier und Jetzt zu leben und den Augenblick zu genießen. Für uns Erwachsene ist es schwerer, die Sorgen des Alltags für einen Moment auszublenden. Wer es trotzdem versucht, wird merken, wie glücklich solche kleinen Momente machen.

Quelle:
http://www.zeit.de
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Über den Autor/die Autorin

Anna Bahr hat an der Universität Leipzig ihr Germanistik- und Philosophiestudium abgeschlossen. Seit einigen Jahren arbeitet sie als freie Redakteurin. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Kinder und Familie sowie Kunst und Kultur.

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