Du oder Sie? Vom Umgang zwischen Lehrern und Schülern

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von Christine Kammerer
Heute ist die Verunsicherung groß: Soll man Duzen oder Siezen? In vielen Bereichen – auch an den Schulen – ist eine Rückkehr zum förmlichen Sie zu beobachten und das hat gute Gründe.
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Bis in die 60er Jahre hinein galt es in Deutschland als vollkommen selbstverständlich, dass man sich in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen siezte, so auch an der Schule: Jüngere Schüler wurden von den Lehrern für gewöhnlich geduzt und erst ab der Oberstufe mit „Sie“ angesprochen. Die Schüler selbst dagegen hatten die Lehrer ohne Ausnahme zu Siezen.
Zwischen 1960 und 1970 war es allerdings in gewissen Kreisen en vogue, sich ohne Einschränkung zu duzen. Dieser Trend beruhte vor allem auf antiautoritären Strömungen: Linke Gruppierungen vertraten die Überzeugung, durch die Abschaffung des „Sie“ könne man soziale Hierarchien flacher gestalten. Seither verbreitete sich das gegenseitige Duzen auch an deutschen Schulen.

Heute ist die Verunsicherung groß: Soll man Duzen oder Siezen? In vielen Bereichen – auch an den Schulen – ist eine Rückkehr zum förmlichen Sie zu beobachten und das hat gute Gründe.

Du oder Sie?

Seit dem 20. Jahrhundert gilt im deutschsprachigen Raum die Grundregel, dass in erster Linie Familienangehörige und enge Freunde geduzt werden. Fremde Erwachsene werden grundsätzlich gesiezt, Kinder und Jugendliche bis zu einem gewissen Alter geduzt.

In Schulen ist es üblich, dass Lehrer ihre Schüler duzen, die Schüler umkehrt siezen ihren Lehrer. Für die Oberstufe gibt es derzeit keine verbindlichen Regeln. Hier findet man die unterschiedlichsten Vorgehensweisen. In der Regel fragen die Lehrer ihre Schüler ab der 9. oder 10. Klasse zu Beginn des Schuljahres, ob das "Du" oder das "Sie" gewünscht wird.

Eine generelle Regelung für ganze Klassen oder Schulen wäre jedoch durchaus von Vorteil: Schüler haben ab 18 Jahren ein Recht darauf, mit Sie angesprochen zu werden. Es schafft jedoch eine ungünstige Gruppenatmosphäre, wenn einzelne Schüler gesiezt, die anderen aber geduzt werden. Die Anrede kann variieren: einige Lehrer entscheiden sich für das Siezen mit Nachnamen, andere für das so genannte „Hamburger Siezen“. Hier werden die Schüler zwar mit dem Vornamen angesprochen, aber gesiezt.

Du zum Lehrer?

Was bis vor kurzem noch vollkommen undenkbar war ist heute an Gesamtschulen gang und gäbe: Schüler duzen ihre Lehrer und nennen diese beim Vornamen. Man verspricht sich davon ein besseres Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, weniger Aggressionen und mehr Offenheit und gegenseitiges Verständnis an der Schule.

Es ist jedoch sehr fragwürdig, ob diese Hoffnungen realistisch sind, denn mit dem „Sie“ geht immer auch ein Stück Respekt gegenüber der Lehrperson verloren. Dieser wird nicht mehr so sehr als Autorität wahrgenommen, sondern eher als hierarchisch Gleichstehender. Das „Du“ verschleiert allerdings nur die Hierarchie, die nach wie vor gegeben ist. Die Strukturen einer Schule werden dadurch nicht aufgehoben und diese sind eben nur bedingt demokratisch und entsprechen keinesfalls denen von Familie oder Freundeskreis.

Mut zur Autorität

Eine gesunde Abgrenzung gegenüber den Schülern ist unter diesen Umständen definitiv schwieriger und ist das „Du“ erst einmal in der Welt, so lässt es sich nur sehr schwer wieder zurücknehmen. Wer sich dennoch für das Duzen entscheidet, sollte zumindest eine Grenze ziehen: Nach wie vor gilt die Faustregel, dass nur der Hierarchie höher gestellte bzw. der Ältere das „Du“ anbieten darf. Wird das nicht gestattete „Du“ von einer Autoritätsperson kommentarlos hingenommen, kann dies von Seiten der Schüler als Einladung zu weiteren Grenzverletzungen und Respektlosigkeiten gewertet werden.

Schüler und Lehrer stehen nicht auf der gleichen hierarchischen Ebene. Es gibt ein deutliches Gefälle in mehrfacher Hinsicht: Lehrer sind den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen überlegen an Lebenserfahrung, an Wissen und an Macht innerhalb der schulischen Hierarchie.

Diese Rollenunterschiede sind auch pädagogisch von zentraler Bedeutung. Lehrer, die zu Kumpeln ihrer Schüler werden, verlieren nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern auch an der Fähigkeit und Möglichkeit, sich durchzusetzen. Eine flache soziale Hierarchie oder gar eine Gleichmacherei kann es hier nicht geben. Sie wäre von vornherein mit einer Schieflage verbunden, die von den Schülern sehr schnell durchschaut wird.

Respektvolle Nähe

Ein „Sie“ beinhaltet weitaus mehr Respekt und Höflichkeit als das „Du“ und es erzeugt eine gewisse Distanz zwischen den betreffenden Menschen. Das Duzen dagegen drückt Nähe und Vertrautheit aus. Ist diese Vertrautheit nicht gegeben, kann das Duzen auch als Distanzlosigkeit oder gar Beleidigung aufgefasst werden, insbesondere dann, wenn es vom Rangniederen ausgeht. Eine allzu große Vertraulichkeit kann zudem dazu führen, dass zu viel Persönliches in den Unterricht einfließt und dies ist ebenfalls kontraproduktiv.

Auch die meisten Schüler wissen eine respektvolle Nähe zu ihren Lehrern auf Dauer mehr zu schätzen als eine vermeintliche Kumpanei. Das höfliche „Sie“ beinhaltet Kategorien, die gerade an der Schule von großer Bedeutung sind: Wertschätzung und Neutralität.

Hier wird gar nicht erst die Illusion einer vermeintlichen Intimität vermittelt, die im schlimmsten Falle auch zu Missbrauchssituationen führen kann. Das „Sie“ beinhaltet auch die Botschaft, dass der Lehrer den persönlichen Bereich des Schülers respektiert und ihm nicht zu nahe treten möchte. Er wird als vollwertige Persönlichkeit anerkannt, die Interaktion untereinander findet auf einer sachlichen Ebene statt. Auf dieser Ebene kann auch Kritik besser kommuniziert werden, da sie als weniger persönlich empfunden wird.

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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