Die Angst vor dem Wettbewerb

Wissen und Bildung
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von Hildegard Dierks
In vielen Bereichen leben wir in einer ergebnisorientierten Leistungsgesellschaft. Entsprechend werden wir mit Wettbewerbssituationen konfrontiert. Diese Situationen erzeugen ein breites Spektrum an Gefühlen, deren Bewältigung Schülerinnen und Schüler herausfordert. Angst ist nur ein Gefühl, das im Zusammenhang mit Wettbewerben bewältigt werden muss.
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In vielen Bereichen leben wir in einer ergebnisorientierten Leistungsgesellschaft. Entsprechend werden wir mit Wettbewerbssituationen konfrontiert. Diese Situationen erzeugen ein breites Spektrum an Gefühlen, deren Bewältigung Schülerinnen und Schüler herausfordert. Angst ist nur ein Gefühl, das im Zusammenhang mit Wettbewerben bewältigt werden muss.

Wettbewerbssituationen in der Schule


Schüler befürchten im Wettbewerb mit den Schulabschlüssen der Mitschüler bei der Lehrstellensuche keine Chance zu haben, fühlen sich im Sportunterricht unfähig oder unterliegen in der Wahl um ein Kurssprecheramt. Auch die Hauptrolle in einem Theaterstück in der Theater-AG kann nur einer spielen. Viele Wettbewerbe sind als Spiele "getarnt". Ein Kind, das noch nicht gelernt hat, zu verlieren weint beim Verlieren und strotzt vor Glück und Zuversicht, wenn es im "Spiel" gewinnt. Es gibt darüber hinaus viele Wettbewerbssituationen, in denen nicht klar ist, nach welchen Regeln der Wettbewerb funktioniert und wie man sich vorbereiten kann. Bei der Bewerbung um ein Schülerpraktikum beispielweise sind die Bewertungskriterien nur in etwa bekannt.

Wettbewerbssituationen und Gefühle


Oft sind Wettbewerbssituationen für Schülerinnen und Schüler stark gefühlsbetonte Situationen. Es entstehen sowohl positive als auch negative Gefühle.

Nur manchmal reagieren Schüler ängstlich. Andere produzieren allenfalls eine gewisse Anspannung, eventuell im positiven Sinne Konzentration und Motivation mit Blick auf das zu erreichende Ziel. Sie können auf diese Weise oft sogar ihre Leistung steigern. Einige Schülerinnen und Schüler, sog. Wettkampftypen, sind geradezu beseelt von dem Gedanken siegen zu wollen.

Schülerinnen und Schüler entwickeln sehr unterschiedlichen Ehrgeiz bei Wettbewerben. Je wichtiger der Wettbewerb für sie ist, um so stärker sind die Gefühle, die entstehen. Kleine Kinder nehmen Wettbewerbssituationen manchmal noch gar nicht an. Ältere Grundschulkinder geben in Wettbewerbssituationen fürs Gewinnen oft "alles", was sie aufbieten können. So gern möchten sie gewinnen.

In Wettbewerbssituationen beschäftigen wir uns intuitiv oder gezielt mit den Leistungen und Fähigkeiten der Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Im Wettbewerb bestehen, fordert uns also eine gewisse soziale Kompetenz ab. Kennt man die KonkurrentInnen, entwickeln wir beispielweise Respekt vor ihren Leistungen. Manchmal lassen sie uns lässig werden aus dem Gefühl der Überlegenheit heraus.

Meistens bleibt aber etwas Unsicherheit, da man Konkurrenten kaum endgültig einschätzen kann. Hat er oder sie ein Ass im Ärmel? Wir erleben, dass nicht nur Können, Taktik und gute Vorbereitung für Erfolg im Wettbewerb notwendig ist sondern auch eine gute Tagesform und immer auch ein bisschen Glück.

Wettbewerbssituationen sind darüber hinaus häufig öffentliche Situationen. Schülerinnen und Schüler haben Angst vor einer öffentlichen Blamage bei einem schlechten Abschneiden. Heute werden Blamagen zum Leidwesen der Betroffenen nicht selten in sozialen Netzwerken weltweit mit hohem Tempo verbreitet.

Wettbewerbe für Schüler: Talentförderung und Elitenbildung


Wettbewerbe geben die Möglichkeit besonderes begabte Schülerinnen und Schüler aus der Masse hervortreten zu lassen. Manchmal erfahren Schülerinnen und Schüler durch eine mehr oder weniger zufällige Teilnahme an Wettbewerben selbst erst einmal überhaupt, dass sie eine überdurchschnittliche Begabung in einem Bereich haben.

Wettbewerbsergebnisse können genutzt werden, um Schülerinnen und Schüler weiter individuell zu fördern, denn Anspruch auf individuelle Förderung haben nicht nur Kinder mit Benachteiligungen. Ein herausragendes Ergebnis in einem Sportwettbewerb kann ein Kriterium für die Aufnahme in ein Elitesportgymnasium sein oder herausragende musikalische Leistungen in einem Wettbewerb die frühzeitige Aufnahme als Meisterschüler an einer Musikhochschule zur Folge haben.

Allgemeinbildende Schulen können die Teilnahme an Schülerwettbewerben anbieten, um Talente jenseits von Zensuren zu finden. Angst vor Wettbewerbssituationen kann eine Barriere sein für Schülerinnen und Schüler. Wenn aus Angst mögliche Spitzenleistungen oder gute Leistungen nicht gezeigt werden, bleibt dieses Talent unentdeckt. Besonders gute Leistungen können eben nur dann honoriert werden, wenn Schülerinnen und Schüler bereit sind, sie zu zeigen. Schülerwettbewerbe, die im pädagogisch geschützten Rahmen von Schule stattfinden, haben den großen wertvollen Vorteil, dass Teilnehmer dort nicht kommerziell ausgebeutet werden oder erniedrigende Rückmeldungen erhalten, wenn die Leistung nicht gut war.

Wettbewerb und Geschlechtererziehung


Wettbewerbssituationen stehen in einem kritischen Verhältnis zur Geschlechtererziehung.

Jungen sind bei den sog. Bildungsverlierern objektiv häufiger vertreten als Mädchen. Die Gründe dafür müssen noch genau geklärt werden. Manche sind der Meinung, dass die Arbeitsweisen der modernen Schulpädagogik Fähigkeiten die der Mädchenrolle zugeschrieben werden wie Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit entgegen kommen und dass sie deshalb besser in der Schule zurecht kommen.

Doch die Situation ist kompliziert. Mädchen zeigen vergleichsweise gute bis sehr gute Leistungen. Die Siegespose, wie sie am Ende eines erfolgreichen Wettbewerbs möglich wäre, mögen jedoch viele Mädchen gerade im Teenageralter nicht, zumindest nicht, wenn Jungen anwesend sind. Vermutlich ist das so, weil eine zur Schau gestellte Leistungsdominanz dem traditionellen und vermutlich auch heutigem Rollenverständnis der Frauenrolle widerspricht. "Amazonen" verlieren an erotischer Anziehungskraft. Entsprechend scheuen weibliche Teenager unbewusst explizite Konkurrenzsituationen, z.B. in den naturwissenschaftlichen Fächern, um nicht unweiblich zu wirken. Sie möchten nicht besser sein in Physik, Mathematik oder Chemie als der gutaussehende Mitschüler, um sich nicht unbeliebt zu machen, Aggressionen zu provozieren oder unattraktiv zu wirken.

Jungen ihrerseits, besonders in der Grundschule, tragen Konflikte, bei denen es um sozialen Status und Position in der Klassen geht, oft mit körperlichen Rangeleien aus, so die landläufige Meinung. Das wird vielfach so interpretiert, dass Jungen auf Grund ihrer hormonellen Situation gern um einen "hohen Status" kämpfen. Deshalb wird ihnen eine gewisse Vorliebe für Wettbewerbssituationen, die ideal sind, um einen Status zu verdeutlichen, zugeschrieben. Entsprechend würde es Jungen entgegen kommen, wenn sie in der Schule häufiger die Möglichkeit bekämen, sich im Wettbewerb in vielen Bereichen messen zu können. In diesen Situationen könnten sie Energie und Motivation für eine gute Leistung gut aktivieren.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob solche Verallgemeinerungen wirklich gerechtfertigt sind. Weder lieben Schüler immer die Wettbewerbssituation noch sind alle Schülerinnen teamfähig und kommunikationsfreudig. Sowohl Schülerinnen als auch Schüler lieben jedoch das Erfolgserlebnis, auch wenn nicht alle dieses gern zur Schau stellen. Wettbewerbe ermöglichen Erfolgserlebnisse.

Maßnahmen gegen Angst vor Wettbewerbssituationen


Eine Wettbewerbssituation ist eine spezielle Form von Prüfungssituation. Entsprechend können wir Ängsten vor Wettbewerbssituationen mit ähnlichen Methoden begegnen wie Prüfungsängsten.

Zum einen ist eine gute Vorbereitung wichtig, zum anderen das Erlernen von Entspannungsmethoden. Schülerinnen und Schüler haben sehr unterschiedliche Begabungen. Fast jedes Kind kann sich jedoch in einem Bereich hervortun, kann vielleicht einmal als Sieger oder Siegerin in einem Wettbewerb brillieren. Nicht nur Lehrer sondern auch Eltern sollten sich auf die Suche machen nach diesen Begabungen und den Kindern ermöglichen, diese auch zu zeigen, zum Beispiel in einem Wettbewerb. Im richtigen Wettbewerb dabei sein, verringert die Angst vor Wettbewerben.

Kinder für die Bewältigung von Wettbewerbssituationen zu stärken, kann gelingen, wenn sie entsprechend nicht nur im Sportunterricht sondern auch in anderen Bereichen bereits früh kleine Wettbewerbssituationen erleben und durchstehen. Kinder sollen durch die Teilnahme und Auseinandersetzung mit Wettbewerbssituationen im Raum Schule nicht zu Verlierern gemacht werden. Wichtiger aus psychologischer Sicht wird vor allem sein, Schülerinnen und Schüler in die Lage zu versetzen mit den Gefühlen, die in Wettbewerbssituationen aufkommen, zurecht zukommen. Dabei brauchen sie Unterstützung von guten Pädagoginnen und Pädagogen, die selbst Wettbewerbssituationen kennen und diese nicht scheuen. Die Gefühlslagen im Zusammenhang mit Wettbewerben sind ausgesprochen kompliziert. Sich freuen im Sieg aber nicht abzuheben, ist nicht ganz einfach. Traurig sein können wegen einer Niederlage aber wieder aufstehen und weitermachen ist ebenfalls eine wichtige Lektion, die Schülerinnen und Schüler in Wettbewerben lernen können. "Nein" sagen, wenn jemand zum Mogeln, Plagiieren, zum Doping oder anderen unfairen Machenschaffen auffordert. Auch "Nein" sagen, wenn man selbst versucht ist die Regeln des "Fair Plays" zu verletzen. Für die psychische Entwicklung von Schulkindern sind Erfahrungen mit diesen Situationen im geschützten Raum Schule wichtig.

Schule – Ein guter Ort für Talentsuche, Kommentar:


Wettbewerbe können sowohl für Jungen als auch für Mädchen mit negativen Gefühlen wie Angst besetzt sein. Die positiven Gefühle im Zusammenhang mit Wettbewerben sollten darüber jedoch nicht in Vergessenheit geraten oder gar zu einem Vermeidungsverhalten führen. Der Umgang mit Gefühlen in Wettbewerbssituationen will allerdings gelernt sein, denn je nach psychischer Konstitution der Schülerinnen und Schüler stellt sich ein konstruktiver Umgang nicht von selbst ein. Die Lust aufs Siegen und die Bereitschaft Spitzenleistung aus eigenem Antrieb zeigen zu wollen, ist in der modernen Schulpsychologie ein wenig vernachlässigt. Hohe Leistungsvorgaben wie kürzere Schulzeiten oder die Bewältigung von mehr Wissen wird stattdessen vielfach als quälendes Übel empfunden, das von oben vorgegeben wird.

Wollen wir Schülerinnen und Schüler psychisch wettbewerbsfähig machen, müsste das Angebot an Wettbewerben in Schulen breit angelegt sein, so dass Kinder in ihren Schulen unabhängig von Klassenarbeiten und Zeugnissen ihre vielfältigen Talente zeigen können. Neben Bundesjugendspielen könnte es an Schulen Musikwettbewerbe geben, Kunstwettbewerbe oder Gesangswettbewerbe. Die Möglichkeiten, große und kleine Schülerwettbewerb auszugestalten sind außerordentlich vielfältig. Differenziert werden kann nach Alter, Thema oder Gestaltungsmitteln. Sie können klassenintern, schulintern und schulüberregional stattfinden. Sie bieten eine gute Möglichkeit, Schulen nach außen hin zu präsentieren. Wir sollten Talentsuche und Talentförderung nicht den Machern von Castingshows von Privatfernsehsendern überlassen sondern gerade Schule ist ein guter Ort dafür.

Buch- und Linktipps


Buchtipps

Peter Fauser et al. (Hrsg.)
Was Schülerwettbewerbe leisten. Edition Körber-Stiftung 2007

Dieter Krowatschek und Holger Domsch
Stressfrei in die Schule: Ängste überwinden. Patmos 2011

Linktipp

Arbeitsgemeinschaft bundesweiter Schülerwettbewerbe
www.bundeswettbewerbe.de
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Über den Autor/die Autorin

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

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