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Hans Christian Andersen

Statue der kleinen Meerjungsfrau
Entwicklung und Erziehung
© Sergii Figurnyi - Fotolia.de
von Anna Bahr

MĂ€rchen erzĂ€hlen von wundersamen Begebenheiten, von Zauber und Magie, von der Anziehungskraft des Bösen und der Macht des Guten. Generationen von Kindern kennen und lieben die alten VolksmĂ€rchen der GebrĂŒder Grimm. Mindestens genauso bekannt, sind die KunstmĂ€rchen des dĂ€nischen Schriftstellers Hans Christian Andersen.

 

Lesedauer:
5 min

Seine „Kleine Seejungfrau“, „Das MĂ€dchen mit den Schwefelhölzern“ oder „Des Kaisers neue Kleider“ haben bis heute nicht an Faszination verloren.

Hans Christian Andersen und seine MĂ€rchen

Hans-Christian Andersen wuchs in Ă€rmlichen VerhĂ€ltnissen auf. Geboren wurde der Autor der traurig-schönen Geschichten vor 205 Jahren, am 2. April, in Odense in DĂ€nemark. Im Gegensatz zu den klassischen VolksmĂ€rchen, die ĂŒber Jahrhunderte mĂŒndlich ĂŒberliefert wurden, komponierte Andersen seine KunstmĂ€rchen in einer poetischen Sprache. Mehr als einhundertsechzig MĂ€rchen veröffentlichte er zwischen 1835 und 1848 in insgesamt acht BĂ€nden. Als Vorgabe dienten ihm meist VolksmĂ€rchen, die er literarisch bearbeitete. Viele seiner Geschichten kommen ohne Magie oder Zauberei aus. Vielmehr verknĂŒpft er die Welt der Phantasie mit der RealitĂ€t und schafft so wundersame Begebenheiten. Andersen verfasste auch Dramen und ErzĂ€hlungen. BerĂŒhmt machten ihn aber seine MĂ€rchen.

Hans-Christian Andersen - Vom hÀsslichen Entlein zum schönen Schwan

In seine MĂ€rchen fließen immer wieder seine eigenen Lebenserfahrungen ein. „Das hĂ€ssliche Entlein“ beispielsweise spiegelt exemplarisch seine eigene Biografie wieder. Andersens psychischer Leidensdruck und seine von Selbstzweifeln gequĂ€lte Persönlichkeit finden sich hier wieder. Im MĂ€rchen verirrt sich ein Schwanenei in das Nest einer Ente. Der Schwan wĂ€chst mit den Enten zusammen auf, wird aber aufgrund seines gĂ€nzlich anderen Äußeren von seinen Geschwistern nicht akzeptiert. Erst bei einem Ausflug auf dem Teich erkennt das Schwanenkind, was es fĂŒr ein schönes Tier ist und das es eigentlich zu einer anderen Familie gehört. Andersens Kindheit und Jugend muss Ă€hnlich verlaufen sein. Auch er, der EinzelgĂ€nger, fĂŒhlte sich nicht richtig aufgehoben in seiner von Armut und Alkoholsucht geprĂ€gten Familie. Erst in der Welt der Kunst und ProduktivitĂ€t findet er zu seinem wahren Ich. Schon frĂŒh entflieht er dem familiĂ€ren Schoß und versucht sein GlĂŒck als Theaterschauspieler. Als dieser Plan scheitert, ermöglicht ihm der dĂ€nische König Friedrich VI. den Besuch der Lateinschule in Slagelsen. Andersen besteht sein Abitur und besucht anschließend die UniversitĂ€t. Seine unglĂŒckliche Liebe zu Ribor Voigt veranlasst ihn spĂ€ter zu insgesamt 30 großen Reisen nach Deutschland, Italien, Spanien und England. Hier entstehen erste MĂ€rchen und Romane.

Warum MĂ€rchen in der Erziehung wichtig sind

Auch heute noch lesen viele Eltern ihren Kindern MĂ€rchen vor und auch viele Erwachsene selbst sind immer noch fasziniert von der Welt des Fantastischen und Fabelhaften. Ein Grund, warum MĂ€rchen in der Erziehung wichtig sind, ist die Spiegelung der Welt des Zauberhaften in ihnen. UngefĂ€hr zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr befinden sich Kinder in der sogenannten magischen Phase. Hier dreht sich alles um Hexerei, Zauberei und Phantasiewesen. Eben diese Welt finden die Kinder in den MĂ€rchen wieder. Die magischen VorgĂ€nge erklĂ€ren ihnen Dinge, die sie mit dem bloßen Verstand noch nicht fassen können. Sie haben noch nicht das Wissen der Erwachsenen um technische und physikalische VorgĂ€nge. Ihre Fantasie hilft ihnen deshalb, die Welt um sie herum zu begreifen. Dass diese ErzĂ€hlungen so fesselnd fĂŒr Kinder sind, ergrĂŒndete Bruno Bettelheim bereits 1977 in seinem Besteller „Warum Kinder MĂ€rchen brauchen“. In seiner Analyse wirft er einen psychoanalytischen Blick auf die Gattung MĂ€rchen. FĂŒr ihn sprechen viele GrĂŒnde dafĂŒr, MĂ€rchen in den Familienalltag zu integrieren. Im MĂ€rchen geht es meist um zentrale Konflikte des Lebens, die auch fĂŒr Kinder eine wichtige Rolle spielen. Sie thematisieren zum Beispiel Gewalt, Trennungsangst oder Liebe. Durch die MĂ€rchen können Kinder Hoffnung auf eine positive Wendung, auf einen glĂŒcklichen Ausgang im Leben schöpfen. Und sie bieten oftmals einfache LösungsansĂ€tze, so Bettelheim weiter. Haben Kinder beispielsweise Angst vor dem Bösen, kann das MĂ€rchen von HĂ€nsel und Gretel helfen. Hier wird die Angst, in Gestalt der bösen Hexe, von den beiden mutigen Kindern einfach in den Ofen geschoben und verbrannt. Verschiedene Lebenssituationen werden also im MĂ€rchen in Symbolen vermittelt, die von den Kindern gut verstanden werden. Kindliche Ängste werden im MĂ€rchen ernst genommen und - im Gegensatz zu vielen modernen Kindergeschichten - nicht verniedlicht. Gleichzeitig, fĂŒhrt der Gehirnforscher Professor Dr. Gerald HĂŒther an, vermitteln die MĂ€rchen Orientierung bei bestimmten Verhaltensmustern und liefern Orientierung fĂŒr verschiedene Lebenssituationen. Sie transportieren „Wissen, Überlieferung von FĂ€higkeiten und Fertigkeiten, von Vorstellungen, Regeln und BewertungsmaßstĂ€ben“.
Ein weiteres Argument fĂŒr MĂ€rchen, so Bettelheim, sei die Identifikation der kleinen Zuhörer mit den Helden der Geschichte. Dabei sei es egal, ob der Held ein Junge oder ein MĂ€dchen ist.

MĂ€rchen - egal ob Kunst- oder VolksmĂ€rchen - regen außerdem die Fantasie der Kinder an. WĂ€hrend ihnen von „Der kleinen Seejungfrau oder „Des Kaisers neuen Kleidern“ vorgelesen wird, imaginieren sie selbst die Bilder, zu dem ihnen vorgelesenen Text. Im Gegensatz zu Fernsehen und Videospielen eine ruhige und entspannende Alternative, durch die Kinder emotional und geistig reifen können.

Gut und Böse im MÀrchen

Durch MĂ€rchen können Kinder auch lernen, sich in andere Menschen einzufĂŒhlen. Im MĂ€rchen vom MĂ€dchen mit den Schwefelhölzern“ erzĂ€hlt Hans-Christian Andersen von einer schlimmen Form von Armut. Die Hauptfigur, ein kleines MĂ€dchen, wird in solch Ă€rmlichen VerhĂ€ltnissen groß, dass sie auf der Straße Schwefelhölzer verkaufen muss, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Die Geschichte weckt tiefes MitgefĂŒhl fĂŒr Menschen, die es nicht so leicht im Leben haben und am Rand der Gesellschaft stehen. Durch die Emotionen, die dadurch beim Leser geweckt werden, geht die Geschichte unter die Haut und fesselt selbst ansonsten eher unruhige Kinder, argumentiert der Gehirnforscher HĂŒther fĂŒr die Gattung des MĂ€rchens.

Viele Eltern jedoch fĂŒrchten sich vor der BrutalitĂ€t in den MĂ€rchen. Denn hier wird entfĂŒhrt, geraubt und getötet. Eltern haben oftmals Angst, ihre Kinder damit zu ĂŒberfordern. Doch Kinder im Kindergartenalter nehmen diese Darstellung nicht in ihrer detaillierten Grausamkeit wahr. FĂŒr sie steht eher die Macht des Guten und die Kraft des Bösen im Mittelpunkt. In Andersens „Schneekönigin“ siegt am Ende die Liebe und die Kinder Kay und Gerda entkommen dem bösen Zauber der bösen Eiskönigin. Das GefĂŒhl des Guten hat die Oberhand ĂŒber die grausame Zeit bei der Eiskönigin.
Bei Andersen steht allerdings die stark konturierte Darstellung von Gut und Böse nicht immer im Vordergrund. Oft verbleiben die Figuren in Grauzonen und auch das Ende der MĂ€rchen ist nicht immer glĂŒcklich. Im Gegensatz zur Disneyverfilmung „Arielle“, kommt „Die kleine Seejungfrau“ in der Originalversion nicht mit ihrem Prinzen zusammen sondern muss sterben. Aber allzu oft findet der Leser einen positiven Ausgang. „Die Prinzessin auf der Erbse“ wird anfangs verkannt, nicht ernst genommen und muss sich erst einer PrĂŒfung unterziehen, um ihre wahre Herkunft zu beweisen.
Neben Spannung und Unterhaltung bereichern sie die Welt des Kindes auch mit einem antiquierten Wortschatz, das die sprachliche Entwicklung des Kindes fördert.
Andersens KunstmĂ€rchen bestechen vor allem durch ihre Poesie und ihre emotionale Eindringlichkeit. Und auch wenn sie oft ein trauriges Ende haben, bringen auch diese literarischen MĂ€rchen den Kindern eine fantasievolle Welt mit der gesamten Bandbreite menschlicher Emotionen, Ängsten und KrĂ€ften nahe. Welche MĂ€rchen fĂŒr das eigene Kind tatsĂ€chlich geeignet sind - egal ob klassisch von Grimm oder aus der Welt der Kunst wie bei Andersen - mĂŒssen Eltern in jedem Fall individuell entscheiden.

Hans Christian Andersen starb am 4. August 1875 in Kopenhagen.

Quellenangabe und Literaturtipp

Quellenangabe:

Andersen, Jens: Hans-Christian Andersen. Eine Biographie. Insel Verlag. 2005
Bettelheim, Brund: Kinder brauchen MĂ€rchen. dtv. 2006
Michaelis, Richard: Die ersten fĂŒnf Jahre. Wie sich ihr Kind entwickelt. Trias Verlag. 2012

Literaturtipp:
Andersen, Hans-Christian: SĂ€mtliche MĂ€rchen. Artemis und Winkler. 2013

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Über den Autor/die Autorin
Foto der lernando-Autorin Anna Bahr

Anna Bahr hat an der UniversitÀt Leipzig ihr Germanistik- und Philosophiestudium abgeschlossen. Seit einigen Jahren arbeitet sie als freie Redakteurin. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Kinder und Familie sowie Kunst und Kultur.

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