Charakterbildung

Entwicklung und Erziehung
Foto: © pressmaster - Fotolia.de
von Christine Kammerer
Ein "guter Charakter" wird gemeinhin als fundamentale Grundlage für ein gutes und glückliches Leben verstanden, doch über das, was denn nun eigentlich den Charakter ausmacht und wie man ihn angemessen fördern und formen kann, wird bis heute in verschiedenen Wissenschaftszweigen kontrovers diskutiert.
Lesedauer:
3 min
Schon die antiken Philosophen beschäftigten sich mit den Ausprägungen des menschlichen Charakters und den Möglichkeiten seiner Ausbildung und Formung. Mit der Aufklärung etablierte sich die Charakterbildung auch im Bereich der Pädagogik und beherrschte fortan die Ausführungen zahlreicher Schulreformer.Ein "guter Charakter" wird gemeinhin als fundamentale Grundlage für ein gutes und glückliches Leben verstanden, doch über das, was denn nun eigentlich den Charakter ausmacht und wie man ihn angemessen fördern und formen kann, wird bis heute in verschiedenen Wissenschaftszweigen kontrovers diskutiert.

Was ist Charakter?

Der Begriff Charakter stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie "Prägung". Er beinhaltet im Sinne der aristotelischen Auffassung, die weitgehend der modernen psychologischen Sichtweise entspricht, alle Eigenarten und Kompetenzen, die den Menschen zu einem Verhalten befähigen, das im Sinne der Gemeinschaft als moralisch verantwortlich bewertet werden kann. Lehren, die auch das Temperament unter dem allgemeinen Oberbegriff subsummieren, gelten heute als überholt.

Aristoteles zählt zu den Charaktertugenden unter anderem Mut, Besonnenheit, Gerechtigkeit, Großzügigkeit und Wahrhaftigkeit. Diese seien zwar im Menschen angelegt, kommen aber nicht automatisch zur Entfaltung, sondern müssen durch einen langwierigen Prozess der Übung und der Gewöhnung kultiviert werden.

Unsere heutige Auffassung von den erstrebenswerten Charakter-Eigenschaften geht in eine ganz ähnliche Richtung. Von einer reifen Persönlichkeit erwarten wir über die von Aristoteles genannten Eigenschaften hinaus auch Fairness, Einfühlungsvermögen und Toleranz, Disziplin, Zivilcourage, Verantwortungsbewusstsein und Respekt.

Charakterbildung soll also zum einen dem Individuum eine gelungene und glückliche Lebensführung ermöglichen, zum anderen aber auch der Erziehung zu allgemein anerkannten gesellschaftlichen Werten dienen.

Charakter ist formbar

Praktisch alle geistigen Strömungen, die sich mit dem Sujet näher befasst haben, gelangen übereinstimmend zu der Auffassung, dass der Charakter nicht nur formbar sei, sondern auch von frühester Jugend an aktiv ausgebildet werden sollte. Selbst Aufklärer wie Jean Jaques Rousseau, die der Kraft des Verstandes so hohe Bedeutung beimessen, warnen davor, der Ratio in der Erziehung größere Aufmerksamkeit zu widmen als dem Charakter. Er versteht ihn - wie letztlich auch später die Vertreter der modernen Wissenschaften - als eine Art Korrektiv der Gesamtpersönlichkeit.

Erst durch die Eigenschaften des Charakters sind wir in der Lage, uns in andere einzufühlen und unsere Triebe und Impulse effektiv zu kontrollieren. Auch der humanistische Bildungsansatz setzt daher mehr auf eine umfassende Entwicklung und bestmögliche Entfaltung der Persönlichkeit als auf ein rein verstandesmäßiges Erfassen von Lerninhalten.

Die grundlegende Charakterbildung sollte nach allgemeiner Auffassung vorwiegend in den ersten Lebensjahren bis zum Eintreten der Pubertät stattfinden, bleibt jedoch auch danach ein lebenslanger Lernprozess.

Charakter, soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz

Das vergangene Jahrhundert maß den rationalen und kognitiven Fähigkeiten eines Menschen und insbesondere seiner Intelligenz einen hohen Stellenwert bei, doch zunehmend mehren sich die Stimmen, die den sogenannten "Soft Skills" eine viel größere Bedeutung für ein glückliches und erfolgreiches Leben einräumen. Die Begriffe "soziale Kompetenz" oder "emotionale Intelligenz" werden heute häufig gleichbedeutend mit dem des Charakters verwendet, sind aber im Grunde sehr viel umfassender. Sie beschreiben sozusagen die Grundbedingungen für die Heranbildung eines starken Charakters.

Das Konzept der emotionalen Intelligenz beinhaltet fundamentale Fähigkeiten wie zum Beispiel Vertrauen, Resilienz und Selbstmotivation. Soziale Kompetenzen ermöglichen darüber hinaus gehend eine gelungene Interaktion mit anderen Individuen oder Gruppen. Sie tragen zum Gelingen zwischenmenschlicher Beziehungen bei und befähigen zum Eingehen und Aufrechterhalten beiderseitig zufriedenstellender Bindungen.

Bildungssystem und Charakterbildung

Die aktuellen Reformen des Bildungssystems haben es sich vor allem zur Aufgabe gesetzt, den Menschen in möglichst kurzer Zeit auf die Bedürfnisse und Erfordernisse des globalen Marktes vorzubereiten und ihn gewissermaßen im Hinblick auf seine ökonomische Verwertbarkeit zu optimieren. Die Formung des Charakters im Sinne einer ganzheitlichen humanistischen Bildung blieb dabei zunehmend auf der Strecke.

Erst in jüngster Vergangenheit rückt die Charakterbildung im Kontext einer allgemeinen Wertediskussion wieder stärker in den Fokus der Gesellschaft. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine rein an pragmatischen Erwägungen orientierte Bildung und die einseitige Förderung der kognitiven Fähigkeiten nicht zum Erfolg führen, wenn es dem Individuum gleichzeitig an charakterlicher Stärke, an emotionalen und sozialen Kompetenzen fehlt.

Linktipps

Martin R. Textor: Bildung und Charakter: Zusammenhang von Lebenserfolg und Persönlichkeitsentwicklung
www.kindergartenpaedagogik.de

Julian Nida-Rümelin: Charakterbildung kommt zu kurz. "Philosophie einer humanen Bildung" Rezensiert von Angela Gutzeit
www.deutschlandradiokultur.de

Charakter statt Intelligenz? Das Pro und Contra einer intelligenzfixierten Gesellschaft
www.3sat.de

Simone Ruessel: Charakterbildung durch die Eltern (Teil 3)
www.erziehungstrends.net

Gatterburg, Angela und Andresen, Karen: Man muss den Charakter bilden
www.spiegel.de
Beitrag teilen:
Themen:
Charakter
Erziehung
Empathie
Respekt
Umgang
Ton
emotionale Intelligenz
Typ
Persönlichkeit
Über den Autor/die Autorin
Foto Christine Kammerer

Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

Weitere Beiträge lesen