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Zu wenig mĂ€nnliche LehrkrĂ€fte – Werden Jungen in der Grundschule benachteiligt?

Lehrer mit GrundschĂŒler*innen
Entwicklung und Erziehung
© Christian Schwier - Fotolia.de
von Hildegard Dierks

„Frau K., Frau K. guck doch mal“, ruft ein Kind ihren Grundschullehrer. Der schnurbĂ€rtige Lehrer protestiert und erklĂ€rt, dass er doch wohl der Herr K. sei. Was fĂŒr eine eigenartige Situation?

Lesedauer:
5 min

„Frau K., Frau K. guck doch mal“, ruft ein Kind ihren Grundschullehrer. Der schnurbĂ€rtige Lehrer protestiert und erklĂ€rt, dass er doch wohl der Herr K. sei. Was fĂŒr eine eigenartige Situation? In der Grundschule ist der Anteil an Lehrerinnen ĂŒberwĂ€ltigend und der Lapsus des Kindes könnte entsprechend nur eine all zu verrĂ€terische Fehlleistung sein. Immer wieder wird vor möglichen negativen Folgen einer sogenannten Feminisierung der Grundschule gewarnt, denn diese sei fĂŒr Jungen von Nachteil.

Symptome der Benachteiligung?

Jungen gelten ĂŒberdurchschnittlich hĂ€ufig als ĂŒberaktiv und zappelig, sind bewegungsstark, am Wettstreit orientiert und öfter nicht so leicht zu disziplinieren. Dies wird tendenziell in der Schule als störend oder krankhaft empfunden. Bei einem Vortrag an der Katholischen Hochschule Aachen im MĂ€rz 2012 bemĂ€ngelte der psychoanalytisch ausgerichtete Kinder- und Jugendtherapeut Hopf, dass Jungen jĂ€hrlich auf Grund ihres natĂŒrlichen hormonbedingten Verhaltens mit 1,3 Millionen Tabletten Ritalin (oft ohne therapeutische Begleitung) behandelt wĂŒrden.

Jungen bleiben hĂ€ufiger sitzen als MĂ€dchen. Ihre Leseleistungen sind etwas schlechter als die der MĂ€dchen. Jungen verlassen die Schule öfter als MĂ€dchen gĂ€nzlich ohne Schulabschluss und erreichen seltener die allgemeine Hochschulreife. Mehr MĂ€dchen als Jungen beginnen ein Hochschulstudium. Jungen werden vereinzelt, aber auf bedrĂŒckende Weise zu AmoklĂ€ufern in Schulen und Schule wird ihr Ort „brutaler Abrechnung“.

Faktenlage und Überlegungen

Finden all diese Probleme ihren Ursprung darin, dass in der Grundschule ĂŒberwiegend Frauen unterrichten? Sind Grundschullehrerinnen zu kleinlich mit „kleinen RĂŒpeln“, bewerten sie ihre Leistungen schlecht, geben sie ihnen zu wenig Orientierung, die sie akzeptieren können. Sind die gewĂ€hlten Unterrichtsformen zum Beispiel Projektunterricht nicht gut fĂŒr kleine Jungen?

Die Forschungslage ist dĂŒrftig und gibt hĂ€ufig nur ungenaue Korrelationen wieder, die bekanntlich keinen Aufschluss ĂŒber die tatsĂ€chliche Ursache fĂŒr das PhĂ€nomen „schulisches Versagen von Jungen“ geben. MĂ€dchen hatten in der Vergangenheit und haben heute oft tatsĂ€chlich bessere Noten. Heute haben sie im Gegensatz zu frĂŒher auch höhere BildungsabschlĂŒsse.

Die aktuelle Forschungslage erlaubt jedoch nicht den Schluss, dass die gute Dynamik der MĂ€dchen auf Kosten der Jungen erfolgt. Die Forschungslage erlaubt ebenso nicht das Fazit, dass die unbestrittene zahlenmĂ€ĂŸige Dominanz von Frauen in der Grundschule fĂŒr Jungen nachteilig ist. Warum Jungen zu einem kleinen Prozentsatz stĂ€rkere schulische Probleme haben, ist nicht genau geklĂ€rt.

In der Bundesrepublik sind zwei wichtige Untersuchungen zu nennen: 1. Die Berliner ELEMENT-Studie von Helbig. 2. Eine Studie unter BerĂŒcksichtigung der Daten der IGLU-Studie von Helbig, Neugebauer und Landmann 2010. In beiden Studien wurde die kognitive Entwicklung der Kinder untersucht, nicht die allgemein psychologische Entwicklung. Was deutet sich an? MĂ€dchen zeigen ein besseres LeseverstĂ€ndnis wenn an der Schule insgesamt mehr Lehrerinnen waren. Im Fach Mathematik hatten Jungen etwas bessere Noten, wenn an der Schule mehr Lehrer unterrichteten. Zurecht wird jedoch an der ELEMENT-Studie kritisiert, dass nicht genau erhoben wurde, welches Kind nun genau wie lange von einem Lehrer oder einer Lehrerin unterrichtet wurde.

Auch die auf den IGLU-Daten von 2010 basierende Studie erlaubt nicht den Schluss, dass Jungen oder MĂ€dchen bessere Leistungen zeigen und bessere Noten haben, wenn sie von einer Lehrkraft des gleichen Geschlechts unterrichtet werden.

Warum mehr Grundschullehrer?

Die Menschheit besteht aus MĂ€nnern und Frauen und warum soll Grundschulunterricht fast ausschließlich Frauensache sein? Insbesondere mögliche Auswirkungen im nicht-kognitiven Bereich auf Grundschulkinder mĂŒssen noch genauer erforscht werden und können nicht ausgeschlossen werden.

Grundschullehrer geben den Kindern vermutlich oft andere Anreize als Lehrerinnen. Grundschulkinder sollten erleben dĂŒrfen, dass sowohl MĂ€nner wie Frauen sich um die Sorgen und Nöte und um Lernen von Kindern kĂŒmmern können und kĂŒmmern, denn das Vorbild wirkt nachhaltig auf Söhne und Töchter.

Oft fehlt es den Jungen aber auch den MĂ€dchen darĂŒber hinaus in den Familien an alltĂ€glichen umfangreichen vorbildhaften Beziehungen mit MĂ€nnern. Die Kinder, die nur mit einem Elternteil aufwachsen, wachsen fast immer mit der Mutter auf. Auch in vollstĂ€ndigen Familien ist die Zeit, die junge Kinder mit ihren VĂ€tern verbringen, durchschnittlich immer noch eher gering, weil VĂ€ter in den meisten FĂ€llen mehr arbeiten als MĂŒtter.

Mehr Grundschullehrer hĂ€tten eventuell auch zur Folge, dass im Sachkundeunterricht der Schwerpunkt nicht so sehr auf Basteln und Biologie liegt sondern dass auch Technik und Physik Thema ist. Mehr Lehrer in der Grundschule wĂŒrden wahrscheinlich eine stĂ€rkere Lobby fĂŒr eine bessere Bezahlung dieser wichtigen BerufstĂ€tigkeit zur Folge haben.

Jungenförderung in der aktuellen Bildungspolitik

Die bildungspolitischen Zeichen stehen auf Jungenförderung. Ein Teil dieser Förderung besteht in verschiedenen Motivationskampagnen von Jungen fĂŒr Berufe in Kitas, der Bildungseinrichtung, die der Grundschule vorgeschaltet ist.
Aktuelles Beispiel ist die Kampagne „Starke Typen fĂŒr starke Kinder“. Sie ist Teil des Modellprojekts „Mehr MĂ€nner in Kitas“, vom Bundesministerium fĂŒr Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2011 ins Leben gerufen.

Um die Aufmerksamkeit von Jungen und mĂ€nnlichen Teenagern stĂ€rker auf MĂ€nner untypische Berufe zu lenken, bekommen Jungen seit April 2011 die Möglichkeit an Aktionen des Boys’ Days teilzunehmen. An diesem Tag laden Unternehmen, Einrichtungen und Schulen SchĂŒler ab der 5. Klasse ein, Berufsfelder kennen zu lernen, die sie bisher nicht in ErwĂ€gung gezogen haben, zum Beispiel aus den Bereichen Erziehung, Pflege und Soziales.

MĂ€nner möchten Lehrer werden aber wenn, dann sehr selten fĂŒr die Grundschule. Die LehrerverbĂ€nde sehen die mangelnde AttraktivitĂ€t dieses Berufes fĂŒr MĂ€nner in der relativ schlechten VergĂŒtung und den unattraktiven Aufstiegsmöglichkeiten. LehrerInnen werden werden in der Regel nach A 12 bezahlt wĂ€hrend GymnasiallehrkrĂ€fte nach A13 bezahlt werden. Das bedeutet: Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen verdienen ungefĂ€hr 400 Euro weniger im Monat als die Mehrheit der LehrkrĂ€fte an Gymnasien. LehrerverbĂ€nde fordern hier eine deutliche Aufwertung mit dem Ziel einer vergleichbaren VergĂŒtung.

MĂ€nnerquote in der Grundschule – Warum nicht?

Zum GlĂŒck versagt nur ein geringer Prozentsatz von Jungen in unserem Schulsystem. Man kann also nicht von einer erheblichen Schulproblematik und Benachteiligung von Jungen aus welchen GrĂŒnden auch immer sprechen. MĂ€dchen können von ihren guten schulischen AbschlĂŒssen bedauerlicherweise oft nicht dauerhaft fĂŒr ihr spĂ€teres berufliches Leben profitieren. Sie bleiben aus anderen GrĂŒnden außen vor oder unter ihren beruflichen Möglichkeiten. Eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigte aktuell beispielweise, dass Frauen von anonymisierten Bewerbungsverfahren profitieren. Frauen werden hĂ€ufiger zu einem BewerbungsgesprĂ€ch eingeladen, wenn dem potentiellen Arbeitsgeber ihr Geschlecht nicht bekannt ist.

Im öffentlichen Dienst gilt in der BRD eine relative Quotenregelung. In Bereichen, in denen Frauen unterreprĂ€sentiert sind, werden bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt bis eine bestimmte Frauenquote erreicht ist. Das sklavische Einhalten einer Quote bei Einstellungsverfahren birgt Probleme, dennoch könnte eine vorĂŒbergehende MĂ€nnerquote bei der Einstellung von Grundschullehrern zur Folge haben, dass Lehrer in der Grundschule zum selbststĂ€ndigen Erscheinungsbild werden. Das Erreichen einer MĂ€nnerquote scheitert jedoch derzeit klĂ€glich an einem Mangel an qualifizierten Bewerbern. Motivationskampagnen und die Schaffung attraktiverer Arbeitsbedingungen fĂŒr den Beruf des Grundschullehrers sind deshalb das Gebot der Stunde, um hier eine Änderung herbeizufĂŒhren. Quereinsteiger nachzuschulen, nur um eine mögliche MĂ€nnerquote in Grundschulen zu erfĂŒllen, wĂ€re nach allem was wir wissen eine nicht gerechtfertige Maßnahme.

Der geringen PrĂ€senz von MĂ€nnern im Leben unserer Kinder und mögliche psychische Auswirkungen könnte allerdings auch so begegnet werden, dass VĂ€ter sich mehr Zeit fĂŒr ihre Söhne nehmen. Sie sollten die Zeit mit ihren Söhnen und Töchtern zur Chefsache machen, dann muss Schule nicht ausgleichen. Die gute Arbeit von Grundschullehrerinnen, an der am besten funktionierenden Gemeinschaftsschule der Bundesrepublik Deutschland, der Grundschule, wĂŒrde nicht auf sonderbare Weise ausgerichtet an oberflĂ€chlichen Kriterien in Misskredit geraten.

Buchtipps

  • Wolfgang Bergmann Kleine Jungs, große Not Beltz Verlag 2010
  • Arne Hoffmann „Rettet unsere Söhne“. Pendo Verlag 2009

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Themen:
Grundschullehrer
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mÀnnliche Lehrkraft
Über den Autor/die Autorin
Foto der lernando-Autorin Hildegard Dierks

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin fĂŒr verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zĂ€hlen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestĂŒtztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

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