Wenn Schüchternheit zum Problem wird
Wenn Schüchternheit zum Problem wird
Schüchterne Kinder und Jugendliche fühlen sich im Vergleich zu ihren lebhafteren Mitschülern häufig minderwertig. Sie empfinden sich als langweilig und unattraktiv und erleben sich selbst auch oft als wenig kompetent.
Sie können sich im Unterricht nicht einbringen, haben Angst, in Prüfungen oder bei Referaten zu versagen und vermeiden daher Situationen, in denen sie sich vor der Klasse präsentieren und beurteilen lassen müssen. Sie erstarren in solchen Situationen regelrecht und sind nicht mehr in der Lage, die geforderte Leistung zu zeigen, auch wenn sie diese unter anderen Umständen spielend erbringen könnten.
Sozialangst
Die Begriffe Schüchternheit und soziale Angst werden oft synonym verwendet, doch nicht jeder der schüchtern ist, hat auch eine soziale Phobie. Sozialangst ist angeboren – wir Menschen sind soziale Wesen und wären ohne die Bindung an ein geborgenes soziales Umfeld lange Zeit nicht überlebensfähig gewesen. Die Sippe löste die anstehenden Aufgaben arbeitsteilig wie zum Beispiel die Nahrungsbeschaffung und den Schutz vor Feinden oder den Unbilden der Natur. Sich von der Sippe zu entfernen war unter Umständen ein tödliches Risiko. Das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit ist in unseren Genen und in unserem Artgedächtnis tief verankert. Eine gewisse Sozialangst – also die Angst, nicht dazu zu gehören, ausgegrenzt zu sein ist also durchaus normal und auch sinnvoll.
Soziale Phobie
Immerhin etwa fünf bis zehn Prozent aller Schüler leiden unter extremen Formen sozialer Ängste, der sozialen Phobie, die zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter zählt. Sie ängstigen sich übermäßig in Beurteilungssituationen und machen sich unangemessen große Sorgen dahingehend, ihr Verhalten könne missbilligt werden. Eine Kombination von Faktoren kann für die Entstehung verantwortlich sein: Häufig sind die Kinder ohnehin schon von Natur aus zurückhaltend und eher ängstlich in ihrem Verhalten. Wenn dann auch noch traumatisierende Ereignisse hinzu treten, wie zum Beispiel Beschämung, Demütigung und Ausgrenzung durch andere, kann dies phobische Reaktionen auslösen. Als Krankheitswertig werden diese Symptome jedoch erst eingestuft, wenn sie bei dem betroffenen Kind zu einem dauerhaften, d. h. mindestens sechs Monate anhaltenden Leidensdruck führen, der den Lebensalltag massiv beeinträchtigt und die Lebensqualität spürbar in Mitleidenschaft zieht.
Schüchternheit
Die soziale Phobie wird häufig nicht als Krankheit erkannt, da schüchterne Kinder angenehme Zeitgenossen und durchaus sehr beliebtsind – unter anderem auch deswegen, weil sie im Gegensatz zu auffälligeren Kindern den Unterricht höchst selten stören. Sie sind eher überangepasst und fallen bestenfalls dadurch auf, dass sie sich nicht gerne freiwillig zu Wort melden. Sie zappeln nicht, drängen nicht in den Mittelpunkt und gehören auch nicht zu den Angebern, Clowns und Selbstdarstellern auf dem Schulhof. Sie pflegen meist nur wenige, aber dafür lieber intensivere Beziehungen und gelten daher oft als zuverlässige Freunde und gute Zuhörer. Schüchternheit kann sich unter günstigen Lebensbedingungen „auswachsen“, wenn das Selbstbewusstsein dieser Kinder entsprechend gestärkt und sie von Eltern und Lehrern dazu ermutigt werden, sich einzubringen und ihre sozialen Kontakte auszubauen. Schüchterne unterscheiden sich von den Sozialphobikern an einem Punkt gravierend: Sie sind trotz ihrer besonderen Wesensart selbstsicher und erfolgreich.
Soziale Phobie ist behandlungsbedürftig!
Schüchternheit kann jedoch, insbesondere wenn das Umfeld unsensibel mit den Betroffenen umgeht, sie vielleicht sogar auch noch bloß stellt und zu ihrer Ausgrenzung beiträgt, dazu führen, dass Kinder sich noch stärker von anderen zurück ziehen und daher wesentliche soziale Kompetenzen in dem dafür vorgesehenen Zeitfenster nicht erwerben können. Die Folgen können gerade in diesem Entwicklungsstadium schwerwiegend sein: Rückzug, soziale Isolation, schwindendes Selbstvertrauen, Schulversagen, oder sogar das Abbrechen der Ausbildung kennzeichnen nicht selten den ohnehin steinigen Weg solcher Schüler und können weitere psychische Symptome auslösen wie zum Beispiel Depressionen. Unbehandelt neigt die soziale Phobie zur Chronifizierung, mit der nicht selten auch der Missbrauch verschiedener Substanzen wie zum Beispiel Alkohol einhergeht, der als Angstregulativ eingesetzt wird.
Hier gilt eine einfache Faustregel: Je früher betroffene Kinder aufgefangen und angemessen pädagogisch betreut oder therapiert werden, desto größer sind die Chancen, die Symptome vollständig zu beheben und ihnen ein zufriedenes und erfolgreiches Leben zu ermöglichen.
Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.