Die Gemeinschaftsschule - ein Erfolgmodell?

Entwicklung und Erziehung
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von Dr. Birgit Ebbert
Ob nun in Berlin, Sachsen oder Nordrhein-Westfalen. Die Bildungspolitik greift das gemeinsamen Lernens in dem Modell der Gemeinschaftsschule wieder auf. An diesem Modell scheiden sich wieder einmal die Bildungsgeister. Warum reagieren die einen geradezu allergisch und die anderen euphorisch? Wir stellen Ihnen die Modelle der einzelnen Bundesländer, Vor- und Nachteile und gehen auf die aktuellen Diskussionen ein.
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Die Gemeinschaftsschule – die Idee einer Schule für alle

Seit einigen Jahren geistert ein neuer Begriff durch die Medien und parteipolitischen Programme, Koalitionsvereinbarungen und Forschungsberichte: Gemeinschaftsschule. In manchen Bundesländern mögen sich Eltern und Lehrer die Augen reiben vor Verwunderung, erinnert doch Vieles an die seit Langem existierenden Gesamtschulen oder an die Schulen zu DDR-Zeiten. Was ist nun das Besondere an diesem Modell? Warum reagieren die einen geradezu allergisch und die anderen euphorisch? Es ist nicht leicht, darauf konkrete Antworten zu geben, denn wie vieles im Bildungsbereich, bleibt auch bei der Beschäftigung mit der Frage nach der Gemeinschaftsschule einiges offen wie Kapitel 2 zeigen wird.

Sicher sind wohl noch am ehesten die Gründe für die Renaissance des gemeinsamen Lernens. Angesichts der sinkenden Schülerzahlen infolge des demographischen Wandels ist die Existenz mancher Hauptschule aufgrund zu geringer Schülerzahlen gefährdet. In manchen Regionen müssten Schüler weit fahren, um überhaupt eine weiterführende Schule zu erreichen, weil sich Schulen einzelner Schulformen aufgrund ihrer zu geringen Schülerzahlen geschlossen werden müssten.
Ein Grund für das Nachdenken über die Gemeinschaftsschulen ist sicher auch der PISA-Schock, der noch immer nachwirkt - oftmals auch deswegen, weil sich erst mit Verzögerung politische Koalitionen ergeben, die die Gemeinschaftsschule als Antwort auf PISA sehen. Hat sich doch in der PISA-Studie gezeigt, dass vor allem die Länder gut abschnitten, die eine Schulform ähnlich der Gemeinschaftsschule haben und die Schullaufbahn der Schüler, wie in Deutschland, in der vierten Klasse festlegten. Diese frühe "Selektion" ist es, die die Diskussion über die Gemeinschaftsschule anfacht, je nach Einstellung ist statt von einer "Gemeinschaftsschule" von einer "Einheitsschule" die Rede, ja sogar die negativen Seiten des DDR-Schulsystems werden als Argumente gegen die Gemeinschaftsschule auf den Plan gerufen wie in Kapitel 3 deutlich wird.
An der Gemeinschaftsschule scheiden sich wieder einmal die Bildungsgeister, wie die Volksabstimmung in Hamburg erst kürzlich gezeigt hat. Letztlich bleibt allen im Moment nur, die Entwicklung zu beobachten und sich eine eigene Meinung zu bilden.


Gemeinschaftsschule ist nicht gleich Gemeinschaftsschule

Ursprünglich war die Gemeinschaftsschule - vor allem in Nordrhein-Westfalen - eine unabhängige Schule, in der keine Weltanschauung oder Religion vorherrschte.
Diese Bezeichnung ist in den Hintergrund gerückt, nachdem das Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung ihn in einem Gutachten für das Land Schleswig-Holstein verwendete. In dem Gutachten wird beschrieben, wie getrennte Schulformen zu einer neuen Einheit zusammengeführt werden können, ein Modell, das in Schleswig-Holstein seit 2007 neben den Haupt-, Real- und Regionalschulen sowie den Gymnasien besteht. Die ehemaligen Gesamtschulen sind seit dem Schuljahr 2010/2011 Gemeinschaftsschulen. In diesen Gemeinschaftsschulen, so ist auf der Seite der Landesregierung Schleswig-Holsteins zu lesen, werden die Schüler der Klassen 5 bis 10 in einer Lerngruppe unterrichtet, in der durch Binnendifferenzierung auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Schüler eingegangen wird. In Berlin geht man noch weiter beim gemeinsamen Unterricht, dort sollen Schüler von der 1. bis 10. Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Noch ist das Projekt in der Modellphase und steht neben der integrierten Sekundarschule und dem Gymnasium. Einen Versuch zur Einführung der Gemeinschaftsschule startete mit dem Schuljahr 2006/2007 auch Sachsen. Hier wurde in der Sekundarstufe I gemeinsam unterrichtet, eine Anbindung an die Primarstufe oder Sekundarstufe I war möglich. An den acht Versuchsschulen wurden jedoch im Schuljahr 2010/2011 die letzten Schüler in das Modell aufgenommen. Mit dem Ende deren Bildungslaufbahn soll auch das Modell bei sechs der acht Schulen beendet werden. Während in Berlin das Modell seinem Ende entgegensieht, steht die Gemeinschaftsschule in Thüringen in den Startlöchern. Das Konzept der sieht vor, dass die Gemeinschaftsschule Schüler von der 1. bis zur 12. Klasse begleitet, wobei der Unterricht bis zum Ende der 8. Klasse gemeinsam stattfinden soll. Zum Konzept der Gemeinschaftsschule gehören auch die flexible Schuleingangsphase, der Unterricht in Doppelklassen und das Lernen in Jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, um das zu ermöglichen ist ein Zweipädagogensystem und ein Tutorensystem vorgesehen.

Auch in Nordrhein-Westfalen steht die Gemeinschaftsschule vor ihrer Feuertaufe. Mit einer Pressemitteilung und einem Leitfaden für die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule startete das Projekt im August 2010. Vorgesehen ist, für die Gemeinschaftsschule bestehende Schulen der Sekundarstufe I zusammenzuführen. Der Unterricht soll in der 5. und 6. Klasse gemeinsam stattfinden, ab der 7. Klasse ist es ins Ermessen der Schule gestellt, ob die Schüler gemeinsam oder getrennt unterrichtet werden. Angesichts dieser Vielfalt der Modelle in bisher nur fünf Bundesländern fragt man sich, gibt es denn auch Gemeinsamkeiten? Ja, alle Gemeinschaftsschulen sind als Ganztagsschulen vorgesehen.


Ein Schulmodell in der Diskussion - Pro & Contra im Überblick

Wer die Diskussion um die Gesamtschule in den 70er und 80er Jahren miterlebt hat, hat beim Streit um die Gemeinschaftsschule ein Déjà-vu-Erlebnis.

Argumente für die Gemeinschaftsschule

  • die Hauptschule ist zur Restschule geworden, für die Schüler und Eltern sich schämen, daher sollte sie in eine andere Schule integriert bzw. aufgelöst werden

  • die Trennung mit 9 oder 10 Jahren wird den Kindern nicht gerecht und benachteiligt Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern

  • PISA hat gezeigt, dass nur durch gemeinsames Lernen das Leistungsniveau aller angehoben werden kann

  • beim gemeinsamen Lernen profitieren alle fachlich voneinander und die soziale Kompetenz wird gestärkt

  • die regionalen Gegebenheiten lassen keine andere Schule zu, sonst müsste man den Kindern weite Fahrten zumuten

  • Gemeinschaftsschulen führen zu mehr sozialem Frieden, auch durch die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund



Argumente gegen die Gemeinschaftsschule

  • die Kinder entwickeln sich nur auf mittelmäßigem Niveau und es gibt keine Spitzenleistungen mehr

  • die demographische Entwicklung ist eine Chance für kleinere Klassen, die sollte nicht vertan werden

  • die Gesamtschulen haben doch bereits gezeigt, dass gemeinsamer Unterricht und Gleichmacherei nichts bringen

  • Länder mit einer Form von Gemeinschaftsschule bilden nicht nur die Spitze, sondern auch das Schlusslicht im OECD-Bildungsvergleich

  • von gemeinsamer Bildung kann keine Rede sein, weil betuchte Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken werden

  • in der Gemeinschaftsschule kann nicht wirklich jeder einzelne gefördert werden, weil die Leistungsspanne so groß ist

  • mit der Einheitsschule hält das Schulsystem von Diktaturen wie der DDR wieder Einzug

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Über den Autor/die Autorin

Dr. Birgit Ebbert ist freie Autorin und als Diplom-Pädagogin seit vielen Jahren in der Elternarbeit und Lehrerfortbildung tätig. Neben Kinderbüchern und Krimis schreibt sie Elternratgeber, Lernhilfen, Vorlesegeschichten und Bücher über kreatives Arbeiten mit Papier.

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