Problem Lehrermangel

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von Hildegard Dierks
Fehlt es an Lehrern, bedeutet dieses Unterrichtsausfall durch hoch qualifiziertes Lehrpersonal. Neue Anreize für den Lehrerberuf zu schaffen, ist eine wichtige Vorgehensweise, um langfristig Lehrermangel zu verringern. Lesen Sie hier mehr zu diesem Thema.
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Problem Lehrermangel


Lehrermangel zeigt sich sehr unterschiedlich im Schulalltag. Fehlt es an Lehrern, bedeutet dieses Unterrichtsausfall durch hoch qualifiziertes Lehrpersonal. Lehrermangel existiert insbesondere in sogenannte MINT-Fächern, das heißt in naturwissenschaftlichen Fächern wie Mathematik, Physik und Informatik. In Grundschulen und weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I mangelt es oft an männlichem Lehrpersonal, während es in vielen naturwissenschaftlichen Fächern zusätzlich zum grundsätzlichen Lehrermangel insbesondere an weiblichen Lehrkräften fehlt. Schulleiterpositionen können gelegentlich nicht zügig besetzt werden, da sich niemand für sie bewirbt. In unseren Schulen sehen wir vergleichsweise wenige junge Lehrerinnen und Lehrern.


Zahlen und die Problematik der Zahlen

In einer Presseerklärung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im November 2009 schreibt Professor Klemm, dass unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten von 2007 - 2015 von 800 000 Lehrern an den Schulen der Bundesrepublik Deutschland 300 000 ausscheiden, weitere 160 000 bis zum Jahr 2020. Die Schülerzahlen werden bis zum Jahr 2020 sinken, auf schätzungsweise 10,1 Millionen. Professor Klemm resümiert, dass unter Berücksichtigung des Schülerzahlenrückgangs und der bevorstehenden Pensionierungen bis 2015 jährlich 27 000 Lehrer eingestellt werden müssten und in den Jahren bis 2020 jährlich etwa 25 000. Will man eine verbesserte Bildungsqualität und die erfolgreiche Realisierung von Reformen, müssten jährlich sogar über 30 000 Lehrer neu eingestellt werden, so Klemm von der Gesamthochschule Duisburg-Essen. Diesem Bedarf an Einstellungen stehen jährlich jedoch vermutlich nur zwischen 22 500 und 25 000 neu ausgebildete Lehrkräfte gegenüber.

Das gezeichnete Bild ist pessimistisch. Nach Meinung von Professor Klemm wird es nicht nur einen Lehrermangel in sogenannten Mangelfächern geben sondern auch in den Fächern, die bisher noch einen Überschuss hatten.

Im Sommer 2009 wurde die Bedarfslücke in den sogenannten MINT-Fächern in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik für den Herbst 2009 mit 30 000 Lehrerstellen angegeben. Diese Stellen blieben in der Regel nicht unbesetzt sondern die Schulleiter konnten und mussten sie mit Personal aus der Wirtschaft besetzen. So kann es zu einer quantitativen Unterrichtsversorgung kommen, nicht jedoch in gleicher Weise zu einer qualitativ hochwertigen. Schätzungsweise wurde im vergangenen Jahr 5% des gesamten Unterrichts durch Aushilfskräfte, die mehr oder weniger gut nachqualifiziert wurden, erteilt.

Während die Kultusministerien einen ernsthaften aktuellen Lehrermangel eher bestreiten, beurteilen Lehrerverbände und oppositionelle politische Parteien die Situation anders. So wundert sich der Vorsitzende der VBE Südbaden Seebacher aktuell, dass die Kultusministerin von Baden-Württemberg den Pflichtbereich in den Schulen als gesichert in Medienberichten bezeichnet. Mitglieder des VBE bemängeln im Gegensatz dazu, dass das Schuljahr 2010/2011 in Baden-Württemberg mit einem unerwarteten Rückschritt in der Lehrerversorgung begonnen habe: Die Vertretungsmöglichkeiten bei Krankheit im ländlichen Raum seien mangelhaft, es fehle an Lehrbeauftragten sowie an Referendaren in Grundschulen und Hauptschulen.

Wie unterschiedlich der tatsächliche Lehrerbedarf eingeschätzt wird, wird auch in einer aktuellen Pressemitteilung (09/2010) der Fraktion der Bündnis90/Die Grünen in Hessen sichtbar. Medienberichten zufolge fehlten angeblich 600 Lehrerinnen und Lehrer an berufsbildenden Schulen, während das hessische Kultusministerium angibt, dass kein Bedarf bestehe.

Gegenmaßnahmen und Anreize


Die Qualifikation von Seiteneinsteigern ist eine alt bekannte Form, Lehrermangel zu begegnen. 30 Diplomphysiker können beispielweise im Rahmen einer Sondermaßnahme am 21. Februar 2011 mit dem Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Gymnasien in Bayern beginnen, so ließ das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 23.09.2010 mitteilen. Zu den kurzfristigen Gegenmaßnahmen zählen auch die Einstellung pensionierter Lehrern auf freiwilliger Basis, attraktive Mehrarbeitsangebote oder ein verbesserte Lehrermobilität. Auch Austauschprogramme mit osteuropäischen Ländern, in denen es viele gut ausgebildete Lehrer im Bereich der MINT-Fächer gibt, sind interessant, bieten aber keine Dauerlösung. Gegenüber Seiteneinsteigern bleibt oft eine grundsätzliche Skepsis, denn ihre pädagogische Nachschulung wird nicht von allen als ausreichend angesehen für die schwierigen Aufgaben im schulischen Alltag.

Neue Anreize für den Lehrerberuf zu schaffen, ist eine wichtige Vorgehensweise, um langfristig Lehrermangel zu verringern. Damit die Schulen im Wettbewerb mit der Wirtschaft um gutes Lehrpersonal konkurrenzfähig bleiben können, wird in einigen Bundesländern die Altersgrenze für die Verbeamtung nach oben gesetzt. Um die besten eines Abiturjahrganges zum Lehramtstudium vor allem in Mangelfächern wie Physik, Mathematik oder Informatik zu bewegen, wird immer wieder die Zusicherung einer Einstellung vorgeschlagen, wenn die entsprechenden Leistungen erbracht wurden.

Die Einstellungsbedingungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Lehrer werden also nicht nur von der Wirtschaft abgeworben sondern Bundesländer treten auch untereinander in Konkurrenz zu einander. Finanziell stärkere Bundesländer und solche, in denen Wahlen anstehen, sind bei der Beschaffung von Lehrpersonal dann klar im Vorteil, Kinder in anderen Bundesländer werden benachteiligt. Im Zusammenhang mit der Tagung der Kultusministerkonferenz im Juni 2009 forderte der Vorsitzende der GEW Ulrich Thöne, dass es einen gemeinsamen bundesweiten Lehrerarbeitsmarkt zu gleichen Bedingungen geben müsse. Eine gemeinsame Anstrengung der Länderregierungen und der Kultusministerkonferenz sei erforderlich, um den Lehrerberuf für junge Akademikerinnen und Akademiker attraktiv zu machen. Man müsse für gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung sorgen, damit die Lücke zwischen den Lehrern, die in Pension gehen und denen die, die Ausbildung absolvieren, nicht immer größer wird.

Lehrermangel geht fast alle an. Defizite in der Einstellungspolitik sind zum Teil erheblich und in der allgemeinen Bevölkerung nicht bekannt. So gibt es trotz Lehrermangels oft keine Garantie für Lehramtsanwärter zügig die Ausbildung zu beenden. Hochschulabsolventen erhalten keine Zusage für einen Referendariatsplatz. Josef Zeimentz vom Philologenverband Rheinland-Pfalz kritisierte aktuell (09/2010) mit den Worten, dass Lehrermangel hausgemacht sei, dass zu wenig und falsch ausgebildet werde. Von 800 Bewerbern um eine Referendar-Stelle an Gymnasien und der Integrierten Gesamtschule würden nur 200 eingestellt und 44 Bewerber mit Bedarfsfächern wie Mathematik, Musik, Kunst, Latein und Religion wären abgelehnt worden. Befristet eingestellte junge Lehrer werden in den Ferien immer noch entlassen und nach den Sommerferien wieder eingestellt, um Geld zu sparen. Es ist wichtig, dass Problem Lehrermangel öffentlich zu machen. Wir brauchen nicht nur eine saubere Umwelt für eine gute Zukunft in unserem Land, sondern wir brauchen auch gut ausgebildete Lehrer, die für ein hohes Bildungsniveau sorgen.

Mehr Lehrer mit Migrationshintergrund


Lange besteht schon die Forderung nach mehr Lehrpersonal mit Migrationshintergrund. Im aktuellen Integrationsprogramm der Bundesregierung wird noch einmal ausdrücklich dafür geworben. Zur Zeit liegt der Anteil von Lehrern mit Migrationshintergrund bei 1,2 % bundesweit. Durch Studienprogramme will die Bundesregierung den Anteil von Lehrern mit Migrationshintergrund erhöhen.

Bisher gibt es jedoch nur überwiegend einige private Initiativen zum Beispiel das Projekt Horizonte der Hertie-Stiftung sowie die Otto Benecke Stiftung e.V. in Nordrhein-Westfalen, die sich darum bemühen.

Fazit einer Studie der Freien Universität Berlin des Jahres 2010, in der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zu ihrem professionellem Selbstverständnis befragt werden, ist, dass Lehrende mit Migrationshintergrund als "change agents" fungieren können. Sie können die interkulturelle Schulentwicklung in Deutschland vorantreiben, Kolleginnen und Kollegen in schwierigen Auseinandersetzungen im schulischen Alltag entlasten.

Kommentar


Es reicht nicht das Problem zu benennen

Existierender Lehrermangel wird sich verstärken, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Lehrermangel in Mathematik, Informatik, den naturwissenschaftlichen Fächern und Technik wirkt sich bereits jetzt negativ auf den Wirtschaftsstandort Deutschland aus. Das Interesse für die Inhalte dieser Fächer sollte allerdings eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung werden. Sind wir noch eine Nation von Tüftlern, Erfindern, Schachspielern und Liebhabern von Knobelaufgaben in unserer Freizeit?

Gute Schülerleistungen hängen nicht nur aber auch von gut ausgebildetem Lehrpersonal ab. Mit "Flickschusterei" dürfen wir uns gerade bei der Lehrerausbildung nicht begnügen. Der Reformdruck an Schulen ist hoch. Reformen erfolgreich pädagogische Realität werden zu lassen, ist immer personalintensiv. Kurzfristige Maßnahmen, um Lehrermangel zu beheben, sind notwendig aber noch wichtiger ist es die Attraktivität des Lehrerberufs zu erhöhen, konsequent auszubilden und für attraktive Arbeitsbedingungen zu sorgen. Für manche ist der Beamtenstatus wichtig aber auch andere Anreizsysteme sollten bedacht werden.

Mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund in unserem Schuldienst können uns helfen, ein Problem mit potenziell hoher gesellschaftlicher Brisanz zu entschärfen. Die meisten Probleme sind bekannt. Fehlt es nicht einfach an konsequentem politischem Willen und die Bereitschaft Geld zu investieren, um das Problem Lehrermangel nachhaltig zu beheben?

Links & Literatur


Links:

Förderprogramm der Otto Benecke Stiftung e.V
Kurse und Beratung für junge Zuwanderinnen und Zuwanderer
http://www.obs-ev.de/programme/foerderprogramm-garantiefonds/

Netzwerk Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte
Das Projekt „Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte“ wurde im Jahr 2007 vom Ministerium für Schule und Weiterbildung in Kooperation mit dem nordrhein-westfälischen Integrationsministerium initiiert.
http://www.lmz-nrw.de/

Süddeutsche Zeitung. de: Künftig noch weniger Lehrer für Mathe und Physik (nach Studie von Bildungsforscher Klaus Klemm)
http://www.sueddeutsche.de/bildung/bildungsstudie-kuenftig-noch-weniger-lehrer-fuer-mathe-und-physik-1.2314093

Literatur:

Jahresheft 2010 Lehrerarbeit - Lehrer sein.
Friedrich Verlag 2010

Lütge, Jessica:
So läuft's rund im Referendariat.
Verlag an der Ruhr 2010

McCourt, Frank:
Tag und Nacht und auch im Sommer: Erinnerungen (Teacher Man ist der Titel im englischen Original).
Luchterhand Literaturverlag 2006
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Über den Autor/die Autorin

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

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