Tier? Nein, danke! Vegetarische und vegane Ernährung ist bei den Kids im Trend

Entwicklung und Erziehung
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von Bettina Levecke
Seit vielen Jahren wächst in Deutschland die Zahl der Menschen, die aus ethischen und/oder gesundheitlichen Gründen auf Fleisch verzichten. Auch immer mehr Kinder und Jugendliche wollen sich tierfreundlich ernähren. Viele Eltern sind aber verunsichert: Ist das überhaupt gesund?
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Seit vielen Jahren wächst in Deutschland die Zahl der Menschen, die aus ethischen und/oder gesundheitlichen Gründen auf Fleisch verzichten. Auch immer mehr Kinder und Jugendliche wollen sich tierfreundlich ernähren. Gute Gründe und coole Vorbilder dafür gibt es genug. Trotzdem sind viele Eltern verunsichert: Ist das überhaupt gesund?

Die Stars machen es vor

Viele neue Trends kommen aus Amerika. Aktuell ist es die vegane Lebensweise, also der Verzicht auf tierische Produkte, wie Fleisch, Eier, Milch, Honig oder auch Leder und Seide. Viele prominente Amerikaner bekennen sich öffentlich zum Veganismus. Bill Clinton lebt vegan, genau wie Pamela Anderson, Schauspielerin Natalie Portman oder Sängerin Avril Lavigne. Auch in Deutschland zeigt sich ein Bewusstseinswandel. Deutsche Promis, wie z.B. Boris Becker, Thomas D., Nena und Michelle Hunziker bekennen sich gegen Schnitzel und Buletten und sind Vorbild für tierfreundliche Teenager. Die wachsende Nachfrage schafft Angebote: Längst hat (fast) jedes Restaurant vegetarische Gerichte auf der Speisekarte.

Auch in Supermärkten und Discountern gehören Hafermilch und Sojaburger mittlerweile zum festen Sortiment. Und der Buchmarkt im Herbst 2012 bringt viele neue Bücher zum Thema.
Vorreiter und Vorbild für Jugendliche und junge Erwachsene ist derzeit vor allem der Berliner In-Koch Attila Hildmann ( www.attilahildmann.com), der vegane Ernährung plus Sport zum Lebenskult erhebt. Seine Ideologie findet immer mehr Anhänger, verspricht sie Gesundheit, gutes Aussehen und ein ethisch sauberes Gewissen auf einen Schlag. Schon vor der Veröffentlichung seines neusten Kochbuchs ("Vegan for fit", Becker-Joest-Volk-Verlag) gab es über
10.000 Vorbestellungen.

Fleisch hat ein schlechtes Image

BSE, Rinderwahn, Vogelgrippe: Jeder kennt diese Begriffe. Neue Skandale aus der industriellen Tierhaltung folgen regelmäßigen Abständen. Mal sind es Dioxine in Eiern, neue Antibiotikaresistenzen oder Gammelkeime im Discounterfleisch. Viele Verbraucher sind verunsichert. Der Markt für Bio-Fleisch wächst, der Fleischverzehr insgesamt ist seit Jahren rückläufig. Nach Angaben des Vegetarierbund Deutschland (VEBU) leben aktuell rund sechs Millionen Vegetarier in Deutschland und ca. 600 000 Veganer. Tendenz steigend, auch bei Kindern. Kinderärzte berichten von immer mehr jungen Patienten, die sich bewusst für ein Leben als Vegetarier entscheiden - auch wenn die Eltern ihnen dies nicht vorleben. In Schulen und Universitäten bauen Mensen das Angebot vegetarischer Speisen aus, die ersten Unis bieten vegane Gerichte an.

Nach Zahlen der KIGGS Ernährungsstudie des Robert-Koch-Instituts verzichten in Deutschland drei Prozent der 12-17jährigen Jugendlichen auf Fleisch. Experten prophezeien einen starken Anstieg in den nächsten Jahren. So glaubt zum Beispiel der Berliner Jugendforscher Dr. Bernd-Udo Rinas fest daran, dass Fleisch in der Zukunft genauso verpönt sein wird wie das Rauchen und die heutige Jugend den Trend in diese Richtung setzt. Er spricht sogar von einem postmodernen Anarchismus, der sich im veganen Leben ausdrückt.

Eine Form von Widerstand

"Jugendliche sind wie Seismographen der Gesellschaft" sagt Rinas. Und tatsächlich: Schon oft war eine Jugendbewegung der Beginn einer gesellschaftlichen Veränderung. Jugendliche hinterfragen, blicken hinter die Kulisse. Sie wollen anders sein als ihre Eltern, sich abgrenzen und neue Wege einschlagen. Ganze Jugendgenerationen haben gesellschaftliche Trendwenden eingeführt und auf Missstände hingewiesen. Mit Petticoat und Rock'n Roll ging es gegen das Spießertum, mit Schlaghosen und freier Liebe in die Emanzipation. Vielleicht ist nun der Veganismus der Weg, der zu einem neuen und nachhaltigen Konsum in der Gesellschaft führt.

Längst geht es nämlich in der Fleischdebatte nämlich nicht mehr nur um reinen Tierschutz. Am hohen weltweiten Fleischkonsum leidet mittlerweile der ganze Planet ( www.spiegel.de/wissenschaft/natur/fleisch-wird-luxusgut-wegen-wassermangel-laut-siwi-studie-a-852329.html).
Und die Jugend rebelliert zu Recht vor den Eltern: Wenn ihr wisst, was mit den Tieren gemacht wird - warum landen sie dann auf euren Tellern?

Kein Mensch braucht Wurst

"Fleisch macht stark" und "Milch macht feste Knochen" - unter diesen Ernährungsformeln sind die meisten Menschen groß geworden. Kein Wunder, dass viele Eltern verunsichert sind und sich fragen, ob eine vegetarische oder vegane Ernährung überhaupt gesund ist. Doch: Gesunde Ernährung muss vor allem eines sein, vielseitig und ausgewogen. Wer täglich nur Fast Food oder Fertigprodukte auf den Tisch bringt, kann sich genauso einseitig ernähren, wie ein Veganer, der nur Sojapudding löffelt. Ungesunde Ernährung ist also in vielerlei Hinsicht möglich und ist nicht nur im Fleisch- oder Milchverzicht zu begründen.

Als wissenschaftlich bewiesen gilt, dass der Verzicht auf Fleisch keinen Nachteil für die menschliche Gesundheit bringt. Kinder können problemlos ohne Schnitzel oder Leberwurst aufwachsen. Mit pflanzlichen Brotaufstrichen, Gemüseburger und Tofuwurst ist kein Mangel zu befürchten. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass Vegetarier oft einen höheren Eisenspiegel im Blut haben als Fleischesser. Bei einer ausgewogenen Ernährung beziehen Vegetarier auch genügend Eiweiß, z.B. aus Hülsenfrüchten, Getreide, Nüssen oder Samen. Auch Milch muss nicht zwingend auf den täglichen Speiseplan gehören. Tatsächlich häufen sich in den letzten Jahren die Untersuchungen, die der Milch zahlreiche gesundheitliche Nachteile bescheinigen. Eine Betrachtung zum gesundheitlichen Für und Wider der Milch bietet dieser Artikel in der Zeit: www.zeit.de/zeit-wissen/2006/01/Milch.xml

Vegane Ernährung muss vielseitig sein

Keine Milch, kein Käse, keine Eier und kein Honig. Wer vegan lebt, verzichtet auf alle tierischen Erzeugnisse. Fordern Jugendliche diesen Lebensstil ein, rätseln Eltern: Und was können wir dann noch essen? Tatsächlich erfordert der Veganismus einiges Umdenken und neues Rezepte-Wissen. Die gute Nachricht: Gesundheitlich muss das nicht problematisch sein.

Viele Produkte aus dem Supermarkt sind für Veganer tabu. In den meisten Fertigprodukten stecken Milchbestandteile, tierische Fette oder Ei. Hier heißt es also Finger weg. Das bewahrt den Körper aber häufig nicht nur vor tierischen Inhaltsstoffen, sondern auch vor E-Nummern und Zusatzstoffen, die diese Fertigprodukte haltbarer und formstabiler machen. Wer vegan oder vegetarisch lebt, muss viele Speisen selbst und frisch zubereiten, das macht das Essen vielseitiger, gesünder und auch besser bekömmlich.

Wie eine vegane Ernährung im Alltag gelingt, kann man mittlerweile in vielen Büchern nachlesen. Hilfreich kann auch eine Ernährungsberatung sein, die klärt, in welchen Lebensmitteln wichtige Nährstoffe, wie z. B. Kalzium, Eiweiß oder Omega-3-Säuren stecken und wie Lieblingsgerichte ohne tierische Produkte gelingen. Nicht zu vergessen: Die Bedeutung von Vitamin B12. Dieses Vitamin wird überwiegend über Tierprodukte aufgenommen und muss bei Veganern substituiert werden. Bei Kindern und Jugendlichen sollte zum Ausschließen eines Mangels regelmäßig ein Blutbild gemacht werden. Gut zu wissen: Mittlerweile gibt es für fast alle tierischen Produkte hochwertige pflanzliche Alternativen, wie Milchersatzprodukte, Veggie-Wurst oder Käseersatz.

Können Eltern die Ernährungsumstellung auch verbieten?

"Mama, ich will ab sofort kein Fleisch mehr essen" - wenn Kinder diese Haltung zeigen, ist es wichtig mit ihnen den Dialog zu treten. Lehnen Sie den Wunsch Ihres Kindes nicht einfach ab, sondern fragen Sie nach: Woher kommt diese Entscheidung? Wie sollen wir das in Zukunft für uns lösen? Hast du Ideen für vegetarische Gerichte?

Den Wunsch, sich vegan zu ernähren, äußern Kinder in jungen Jahren kaum - außer sie haben ein direktes Vorbild in oder außerhalb der Familie, z.B. eine Patentante oder einen vegan lebenden Spielfreund.

Bei Jugendlichen oder junge Erwachsene hingegen passiert eine Ernährungsumstellung häufiger - durch prominente Vorbilder, die Clique, die Schule oder weil man vieles zum Thema gelesen oder gesehen hat. Äußern Jugendliche ihre Überzeugung zum Veganismus, drücken sie damit eine für sie wichtige Lebenshaltung aus. Diese Haltung sollten Eltern respektieren, auch wenn sie nicht ihrer eigenen Überzeugung entspricht. Kritik, Spott oder Ablehnung können fatale Auswirkungen haben und Konflikte provozieren. Eltern sammeln hingegen große Pluspunkte, wenn sie offen für das Thema sind, vielleicht auch eigene Ernährungsgewohnheiten überdenken und bereit sind gemeinsam mit dem Kind den Kochlöffel zu schwingen.

Link- und Literaturtipps

Internetlinks zum Thema:

Bücher:

Christina Kaldewey: Vegane Küche für Kinder.
compassion media 2012; 152 Seiten; ISBN: 978-3-9814621-2-8

Irmela Erckenbrecht: So schmeckt's Kindern vegetarisch:
fachkundiger Rat praktische Tipps 150 köstliche Rezepte,
Pala-Verlag, 200 Seiten, ISBN: 978-3895663048

Roland Rauter: Einfach vegan - Genussvoll durch den Tag:
100 Rezepte vom Frühstück bis zum Abendessen.
Schirner Verlag, 232 Seiten, SBN: 978-3843410557

Gabriele Lende, Dr. Ernst Walter Henrich: Ab jetzt vegan.
Über 140 Rezepte: Gesund essen ohne tierische Produkte.
TRIAS Verlag, 156 Seiten, ISBN 978-3-8304-6660-4
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Themen:
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Über den Autor/die Autorin
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Bettina Levecke ist freie Journalistin aus der Nähe von Bremen. Ihre Themenschwerpunkte sind Gesundheit, Familie und Nachhaltigkeit.

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