Seelische Gesundheit bei Kindern

Entwicklung und Erziehung
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von Christine Kammerer
Liebe Eltern, bei mehr als einem Viertel aller Kinder und Jugendlichen wurde 2017 beim Arztbesuch eine psychische Störung oder Verhaltensauffälligkeit und somit eine eingeschränkte seelische Gesundheit dokumentiert. Tendenziell steigen diese Zahlen weiter an. Dieser Trend dürfte sich auch durch die Corona-Krise weiter verstärken.
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Bei mehr als einem Viertel aller Kinder und Jugendlichen wurde 2017 beim Arztbesuch eine psychische Störung oder Verhaltensauffälligkeit und somit eine eingeschränkte seelische Gesundheit dokumentiert. Tendenziell steigen diese Zahlen weiter an. Dieser Trend dürfte sich auch durch die Corona-Krise weiter verstärken.

Zum Teil ist der Anstieg darauf zurückzuführen, dass Eltern, Erzieher, Pädagogen und Lehrkräfte problembewusster geworden sind. Seelische Auffälligkeiten werden schneller und besser erkannt. Außerdem haben sich die Lebensumstände für Kinder in unserer Gesellschaft trotz des zunehmenden Wohlstands nicht unbedingt zum Besseren entwickelt. Das zeigt sich daran, dass als eine der Hauptursachen für eine eingeschränkte seelische Gesundheit bei Kindern der zunehmende Leistungsdruck gilt. Dieser Stress kann die kindliche Seele stark belasten. Er wirkt sich umso verheerender aus, wenn gleichzeitig der Rückhalt in der Familie fehlt. Es gibt einige Ressourcen wie Stärke und Widerstandskraft, die man Kinder mit auf den Weg geben kann, damit sie mit den Widrigkeiten des Lebens besser zurecht kommen.

Seelische Gesundheit und psychischer Störung - nur ein schmaler Grat liegt dazwischen

Es ist durchaus normal, dass Kinder gelegentlich traurig sind und die seelische Gesundheit etwas angeschlagen ist. Sie leiden unter Einsamkeit, Niedergeschlagenheit, Wut und Misstrauen. Je nach Lebensphase und Situation reagieren sie aggressiv oder ziehen sich zurück. Solche Emotionen können auch durch eine Krisensituation hervorgerufen oder verstärkt werden. Eine psychische Störung liegt jedoch erst dann vor, wenn das Ausmaß solcher Gefühle und Gedanken übermächtig wird und die seelische Gesundheit dauerhaft eingeschränkt ist. Sie halten dann über einen langen Zeitraum hinweg an, bestimmen den gesamten Alltag des Kindes bzw. seiner Familie, der Leidensdruck nimmt zu und überschattet die Lebensfreude. Die Klassifizierung als „krank“ oder die Zuschreibung einer bestimmten psychischen Störung muss jedoch immer dem Arzt überlassen werden. Ein vorschnelles Urteil über die seelische Gesundheit kann schnell zur Stigmatisierung des betroffenen Kindes führen und es zusätzlich unter Druck setzen. Es entstehen Ängste und Gefühle der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins.

Seelische Gesundheit - Resilienz als Quelle

Als „Resilienz“ bezeichnet man die Gabe, mit Ängsten, depressiven Verstimmungen, Aggressionen oder anderen schwierigen Verhaltensmustern umzugehen. Sie ist uns Menschen nicht von Natur aus gegeben. Wir müssen diese Fähigkeiten erst erwerben. Das dauert viele Jahre und erfordert die Unterstützung der Eltern und Erzieher. Resilienz aufbauen bedeutet, Kindern Widerstandsfähigkeit für Krisen, Probleme und Belastungen zu vermitteln, um so ihre seelische Gesundheit aufrecht zu erhalten. Sie sollen lernen, den schwierigen Situationen des Lebens nicht aus dem Weg zu gehen, sondern ihnen zu begegnen. Weil Trennungen, Krisen und schmerzhafte Erlebnisse ebenso zum Leben gehören wie die schönen Seiten des Lebens. Kinder sollen in die Lage versetzt werden, diese Herausforderungen anzunehmen und lernen, sie angemessen zu meistern. Sie gehen später ins Leben hinaus im Bewusstsein, dass sie Fehler machen und an einigen Aufgaben sogar scheitern werden. Sie spüren aber immer die Gewissheit in sich, dass sie sich wieder aufrappeln und erneut den Aufgaben des Lebens stellen können. Dies geht nur mit einer seelischen Gesundheit und dazu muss Resilienz entwickelt und dann kontinuierlich gefördert und stabilisiert werden. Resilienz ist ein lebenslanger Lernprozess. Die Grundlagen werden in der Kindheit gelegt, doch die Seele muss, genau wie der Körper, immer gut gehegt und gepflegt werden, damit sie gesund bleibt.

Seelische Gesundheit durch Erziehung

Seelische Gesundheit ist das Resultat der Wechselwirkung zwischen inneren und äußeren Schutzmechanismen und Belastungsfaktoren. Stark vereinfacht kann man sich eine Waage vorstellen: Risiko- und Stressfaktoren liegen auf der linken, Schutzfaktoren auf der rechten Waagschale. Die Seele ist gesund, wenn beide Schalen einigermaßen im Gleichgewicht sind. Im Optimalfall überwiegt sogar der schützende Anteil. Ihn zu stärken ist letztlich eine primäre Erziehung-Aufgabe und wichtig für die seelische Gesundheit. Möglich ist das nur in einem
  • fürsorglichen und geborgenen,
  • sicheren und liebevollen Umfeld
  • mit ausreichend Bewegung und gesunder Ernährung sowie
  • genügend anregenden, fördernden Angeboten, die auf die Individualität des Kindes ausgerichtet sind.
Die Risiken und der Stresslevel sollten möglichst gering gehalten werden. Aus diesem Grund sind Traumatisierungen, Überreizung und Überforderungen ganz bewusst zu vermeiden. Das bedeutet jedoch nicht, dass man ein Kind vor allem bewahren sollte. Überbehütung ist genau wie Vernachlässigung ein Risikofaktor für die langfristige seelische Gesundheit. Dadurch wird verhindert, dass Kinder lernen können, mit den Anforderungen des Lebens oder gar mit belastenden Ereignissen umzugehen.

Seelisch gesund aufwachsen mit stabilen Bindungen

Hilfreich für die seelische Gesundheit ist ein Umfeld, in dem Kinder frühzeitig intakte emotionale Bindungen zu Bezugspersonen entwickeln können. Konstante und unterstützende Bindungen gelten als wichtigster Faktor für den Erwerb von Resilienz. Seelisch gesund aufwachsen bedeutet daher immer auch so etwas wie „Herzensbildung“, nämlich die Ausbildung einer reichen und differenzierten Gefühls- und Empfindungsfähigkeit, erworben im sozialen Kontext. Das hilft Kindern, seelische Stärke und Ausgeglichenheit zu entwickeln. Die Säulen dieser Stärke sind vor allem Selbstwirksamkeit, Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Durchhaltevermögen, Konfliktfähigkeit und Empathie. Sie führen zu einer langfristigen seelischen Gesundheit.

Eltern und Erzieher können solche Entwicklungsprozesse für seelische Gesundheit am besten unterstützen, indem sie sich die Gesetzmäßigkeiten der Lernpsychologie zu nutze machen: Bei Kindern wie bei Erwachsenen werden die Areale im Gehirn, die für Motivation zuständig sind, vor allem durch soziale Anerkennung aktiviert. Neugier, Interesse, positives Feedback und persönliche Wertschätzung bleiben bis ins hohe Alter der zentrale Motor menschlichen Handelns. Man sollte sich dabei auch immer vor Augen halten, dass Kinder durch aktives Handeln und Erleben lernen. Abstrakte Einsichten bzw. logische Argumente sind für sie etwa bis zu einem Alter von 12 Jahren kaum nachvollziehbar.

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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