Klima, Protest und Gewalt

– wie weit dürfen Aktivistinnen und Aktivisten gehen?

Junge Erwachsene protestieren für Klimaschutz
Wissen und Bildung
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von Christine Kammerer

Die Bewegung der Klimaaktivistinnen und -aktivisten ist keine homogene Gruppe, die über ein einheitliches Programm verfügt und die Umsetzung einer Liste klar definierter Ziele verfolgt. Tatsache ist, dass die Palette der Interessen und Absichten ebenso weit gefächert ist, wie die Mittel und Methoden, die von den jeweiligen Untergruppierungen für angemessen und legitim gehalten werden. Nur eine sehr kleine Minderheit der Protestbewegung ist gewaltbereit oder hält die Anwendung von Gewalt für berechtigt. Die große Mehrheit verurteilt gewalttätige und zerstörerische Aktionen – auch im Wissen darum, dass diese dem eigenen Anliegen schaden. Die Bewegung ist gespalten und das liegt unter anderem daran, dass sich die Klimaaktivistinnen und -aktivisten selbst unter Zugzwang gesetzt haben, indem sie sich neuerdings die radikale Forderung zu eigen machen, die Bundesregierung müsse die Pariser Klimaziele einhalten - jetzt sofort.

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Was ist ziviler Ungehorsam?

Es gibt viele Formen der Beteiligung am politischen Prozess der Willensbildung und Entscheidung: Wahlen, soziales Engagement, die Teilnahme an politischen Diskussionen, aber auch den zivilen Ungehorsam. Seine historischen Ursprünge reichen bis in die Antike. Ziel war dabei immer, einen Zustand, der als Unrecht wahrgenommen wurde, zu beseitigen. Die damit verbundenen Aktionen und Proteste zielten also nicht darauf ab, die verfassungsmäßige Ordnung selbst zu zerstören (§ 20 Abs. 4 GG). Nach einem Zitat Henry David Thoreau gilt den Protestierenden das persönliche Gewissen als letzte Autorität. Dem müsse man folgen. Selbst dann,  wenn damit ein Verstoß gegen das geltende Recht einhergeht.

Ungehorsam für das Überleben

Heute berufen sich Widerstandsgruppen meist auf die so genannte "Graswurzelbewegung" (Walt Whitman: Grassroots movements), also ein Vorgehen von unten nach oben in Politik und Gesellschaft. Sie entwickeln Alternativen zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und wollen konkrete Veränderungen innerhalb des Systems bewirken. Im Falle der Klima-Bewegung ist dies beispielsweise eine radikalere Klimapolitik, die das Überleben der Menschheit sichert. Die große Mehrheit der Klimaaktivistinnen und -aktivisten protestiert gewaltfrei unter dem Motto „Fridays for Future“. Der Schwerpunkt gilt dem Aufbau von regionalen und globalen Netzwerken. Spektakuläre Einzelaktionen sind die Ausnahme und werden auch innerhalb der Bewegung als problematisch wahrgenommen.

Postulat der Gewaltfreiheit

Ziviler Ungehorsam ist auch in demokratischen Gesellschaften stark umstritten, weil in aller Regel das Mehrheitsprinzip angewendet wird. Jene Aktionistinnen und Aktionisten, die durch spektakuläre Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam machen, stellen jedoch nur eine verschwindend geringe Minderheit der Bevölkerung dar. Sie üben massiven Druck auf die Mehrheit aus und dies geschieht - wie auch bei vielen aktuellen Klimaprotest-Aktionen - häufig unter Anwendung von Gewalt und zerstörerischem Aktionismus. Und das, obgleich die Mehrheit der Anhänger des zivilen Ungehorsams – wie zum Beispiel auch Mahatma Ghandi und Martin Luther King - Gewaltfreiheit proklamieren. Sie vertreten sogar die Überzeugung, dass ein Widerstand ohne Gewaltfreiheit nicht gerechtfertigt sei.

Ungehorsam oder Rechtsbruch?

In unserer Demokratie spielt das Recht auf Versammlungsfreiheit eine sehr wichtige Rolle. Versammlungen müssen nicht eigens genehmigt werden – wenn sie der Meinungsbildung dienen. Davon wird ausgegangen, wenn zum Beispiel Plakate und Transparente auf klar erkennbare Ziele hinweisen. Es gilt jedoch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Wenn also einige wenige Demonstrantinnen und Demonstranten den Verkehr lahmlegen, wird die Polizei sie auffordern, die Straße zu verlassen, weil ihr Recht auf Versammlung mit den Rechten der Autofahrerinnen und Autofahrer kollidiert.

Handelt es sich jedoch um eine große Zahl an Demonstrantinnen und Demonstranten, wiegt das Recht auf Versammlungsfreiheit unter Umständen stärker als die Rechte der Autofahrerinnen und Autofahrer. Hier muss die Polizei die Verhältnismäßigkeit prüfen und immer dann eingreifen, wenn Verstöße gegen Gesetze erfolgen, zum Beispiel durch Gewalt, Nötigung etc. Ob es sich dabei um eine Straftat handelt, wie beispielsweise bei einer Straßenblockade durch Ankleben, ist im Einzelfall nicht leicht zu entscheiden.

Fazit: Radikalisierung verhindern!

Wir sehen heute die Tendenz, dass durch die Radikalisierung eine Spaltung der Fridays-for-Future-Bewegung herbeigeführt wird. Diese war bisher überwiegend sehr konstruktiv und hat dadurch viele Sympathien und eine breite Unterstützung in der Bevölkerung gewonnen. Diese Erfolge schwinden unter dem Eindruck gewaltsamer Proteste und Zerstörungsaktionen rapide dahin. Jugendforscher Klaus Hurrelmann sagt: „Wenn jetzt die Verhältnismäßigkeit der Mittel radikal überdehnt wird, schwindet die breite öffentliche Akzeptanz für die Klimaproteste.“

Links

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 20

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20.html

Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz)

https://www.gesetze-im-internet.de/versammlg/BJNR006840953.html

Civil Disobedience

https://xroads.virginia.edu/~Hyper2/thoreau/civil.html

Walt Whitman, Leaves of Grass

https://journals.openedition.org/transatlantica/8811?lang=en

Ziviler Ungehorsam - einfach erklärt aus politikwissenschaftlicher und juristischer Sicht

https://www.juraforum.de/lexikon/ziviler-ungehorsam

Blockaden von Extinction Rebellion: Wie radikal werden die Klimaaktivisten?

https://www.tagesspiegel.de/politik/wie-radikal-werden-die-klimaaktivisten-5035855.html

Das letzte Mittel

https://www.spektrum.de/kolumne/philosophie-wann-ist-ziviler-ungehorsam-gerechtfertigt/2098317

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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