Kochen als Schulfach

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von Christine Kammerer
Was versteht man eigentlich unter artgerechter Tierhaltung? Wie baut man Obst und Gemüse an? Wie werden Lebensmittel heute produziert und vermarktet? Wie verwertet man natürliche Ressourcen schonend und effizient, also möglichst ohne Abfall zu produzieren? Kochen, Vorratshaltung und Hygiene – das sind Themen, die man an den allermeisten deutschen Schulen vergeblich suchen wird und Platz beim Kochen als Schulfach einnehmen sollten.
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Was versteht man eigentlich unter artgerechter Tierhaltung? Wie baut man Obst und Gemüse an? Wie werden Lebensmittel heute produziert und vermarktet? Wie verwertet man natürliche Ressourcen schonend und effizient, also möglichst ohne Abfall zu produzieren? Kochen, Vorratshaltung und Hygiene – das sind Themen, die man an den allermeisten deutschen Schulen vergeblich suchen wird und Platz beim Kochen als Schulfach einnehmen sollten.

Bestenfalls tauchen sie als Marginalie im Kontext anderer Fächer und Lerninhalte auf. Es erschien lange nicht notwendig, Kochen als Schulfach anzubieten, da schlicht vorausgesetzt wurde, dass solche Fragen in der Familie beantwortet werden. Doch das ist längst nicht mehr der Fall. Vor allem deswegen, weil in deutschen Küchen immer seltener gekocht wird. Eine Entwicklung mit gravierenden Folgen: Kinder haben keinen Bezug mehr zu Lebensmitteln und verlieren die Wertschätzung dafür. Sie ernähren sich ohne jedes Bewusstsein für Nahrungsaufnahme, Produkte und Inhaltsstoffe und leiden daher immer häufiger schon in jungen Jahren an Fehl-Ernährung und Übergewicht. Man wird also zwangsläufig einen Weg finden müssen, diesen Entwicklungen entgegenzutreten. Kochen als Schulfach könnte eine Lösung sein.

Kochen als Schulfach: Viel mehr als nur essen

Früher versammelte sich die Familie zu wenigstens einer Mahlzeit am Tage um den Tisch. Das gemeinsame Essen diente dem gegenseitigen Austausch und es vermittelte zugleich ein Gefühl von Geborgenheit und Zusammengehörigkeit. Technische Geräte hatten am Tisch generell nichts zu suchen und alle blieben so lange sitzen, bis jeder aufgegessen hatte. In vielen Familien halfen Familienmitglieder bei der Vorbereitung, beispielsweise beim Eindecken. Auch im Anschluss daran teilte man sich die anfallenden Aufgaben wie Abwasch und Müllbeseitigung. Kinder kamen dabei spielerisch mit vielen Fragen rund um das Thema Ernährung und Kochen in Berührung. Die vertrauten Rituale gehörten fest zum Alltag, doch solche traditionellen Abläufe sind inzwischen fast vollständig in Auflösung begriffen. Gemeinsame Essenszeiten sind in vielen Familien passé. Kinder erfahren nicht mehr, wie das Essen zubereitet wird, sondern lernen häufig nur noch eine lieblose Fast Food Kultur kennen, die ohne jedes Bewusstsein für gesunde Ernährung verschwenderisch mit Ressourcen umgeht. All diese Aspekte können beim Kochen als Schulfach wieder aufgenommen werden.

Kochen als Schulfach: Mehr Wertschätzung für Lebensmittel

Die Folgen dieser Abkehr von der traditionellen Lebensweise treten immer deutlicher zutage: Kinder und Jugendliche wissen den konkreten Wert von Lebensmitteln nicht mehr zu schätzen. Je jünger, desto geringer ist diese Wertschätzung für Lebensmittel, wie der jährlich erscheinende Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) feststellt. Das macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass zwei Drittel der Jugendlichen mindestens einmal in der Woche Essen in den Müll werfen.

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) fordert demzufolge Kochen als Schulfach rund um das Thema „Ernährung“. Er will dem Unwissen durch Aufklärung begegnen und fand damit Zustimmung bei immerhin fast 92 Prozent aller Teilnehmer an der Ernährungs-Studie. Die Befragten finden das Thema sogar genauso wichtig wie Mathematik, Deutsch oder Englisch. Die Kultusministerkonferenz (KMK) lehnt jedoch diese Forderung ab, da das Thema Ernährung in allen 16 Ländern Teil der Lehrpläne sei und in verschiedenen Unterrichtsfächern sowie fachübergreifend aufgegriffen werde. Beim Schulfach Kochen könnten diese Thematiken jedoch nochmal konkretisiert und verdeutlicht werden.

Kochen als Schulfach: Lobbyismus statt Bildung - England als Vorbild

Kochen als Schulfach oder eine einheitliche Ernährungsbildung ist also vorerst nicht in Sicht, obwohl auch viele Fachkräfte bezweifeln, dass Ernährungsfragen in den Schulen ausreichend behandelt werden. Im Gegenteil wird dort sogar eine massive Beeinflussung durch Lobbyisten wie die Unternehmen Ritter Sport, Dr. Oetker, Kellogs etc. beklagt. Diese Lebensmittel-Produzenten stellen den Schulen kostenlos Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, in denen sich die Nahrungsinformation mit Produktwerbung vermischen und zum Beispiel zuckerhaltige Lebensmittel verharmlost werden.

Großbritannien hat es vorgemacht, denn dort ist Kochen als Schulfach und gesundes Essen längst ein Pflichtfach. Die Entscheidung fiel auf der Grundlage einer einfachen Rechnung: Man weiß, dass aus dicken Kindern regelmäßig übergewichtige Erwachsene werden. Sie verursachen dem staatlichen Gesundheitssystem weitaus höhere Kosten als schlanke Menschen. Die Einführung vom Kochen als Schulfach in England soll nun dabei helfen, das Übergewicht und seine Folgeerscheinungen einzudämmen. Das wäre auch in Deutschland mehr als sinnvoll, denn auch bei uns sind heute schon 15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen übergewichtig – Tendenz steigend.

Kochen als Schulfach: Alltagskompetenz vermitteln

In Bayern soll ein neues Schulfach "Alltagskompetenz und Lebensökonomie" eingeführt werden. Es soll nach den Vorstellungen der Initiatoren zu mehr Wertschätzung für die heimische Natur und für Lebensmittel beitragen und somit Kochen als Schulfach beinhalten. Das geplante Schulfach ist Teil eines Gesetzespakets für mehr Umwelt-, Natur- und Artenschutz in Bayern. Es soll Hintergründe und Informationen zu Landwirtschaft, Klimawandel und gesundem Essen vermitteln, wobei das praktische Alltagswissen im Mittelpunkt steht. Die Direktoren der Gymnasien in Bayern sind allerdings skeptisch. Sie verwehren sich dagegen, dass immer mehr Erziehungsaufgaben, die ursprünglich von den Eltern übernommen werden sollten, in die Hände der Schulen gelegt werden.

Langfristig werden wir jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr darum herumkommen, dass Schulen zunehmend auch pädagogischen Aufträgen nachkommen, die ihnen aufgrund gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen zuwachsen. Selbst dann, wenn diese auf den ersten Blick nicht zu ihrem traditionell definierten Bildungsauftrag gehören - so auch beim Schulfach Kochen.

Links

BMEL veröffentlicht Ernährungsreport 2018

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Kinder sollten kochen lernen

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Neues Schulfach "Alltagswissen" in Bayern geplant

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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