Direkt zum Inhalt

Mehr Stille fĂŒr Kinder

Junge hÀlt sich schreiend die Ohren zu
Entwicklung und Erziehung
© photophonie - Fotolia.com
von Hildegard Dierks

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Kurzsichtigkeit. Wie aber steht es um das Hören und die HörfĂ€higkeit unserer Kinder? Wie vielen LĂ€rmquellen sind unsere Kinder ausgesetzt? Haben Kinder genĂŒgend Zeit fĂŒr Stille und Ruhe? Mit mehr Stille fĂŒr Kinder ist keine Grabesruh gemeint, sondern ein LĂ€rmpegel, der mit der Gesundheit von Kindern vereinbar ist. Viel LĂ€rm macht uns alle krank. Was kann man tun?

Lesedauer:
5 min

LĂ€rm instinktiv meiden – Beispiele

In der deutschen Sprache bedeutet „Krach“ zweierlei: 1. Ärger, 2. LĂ€rm. Ärger und LĂ€rm möchten wir möglichst wenig haben.
Beobachten wir unsere Umgebung, können wir Interessantes feststellen.
In der Fernsehsendung „Tiere suchen ein Zuhause“ im WDR wurde besprochen, wie sich durch die Aufnahme eines Hundes das Familienleben Ă€nderte.
Jemand berichtete, dass der neue Familienhund immer den Raum verließ, wenn die Kinder sehr laut waren. LĂ€rm vertrieb den geliebten Hund. Die Kinder bemerkten es und bemĂŒhten sich darum, leiser zu sein. Jeder Hundebesitzer weiß, dass SilvesternĂ€chte fĂŒr „Bello“ eine Strapaze sind.
Wir wissen aus unserem Alltag auch, dass kleine Kinder weinen, wenn es knallt oder sehr laut ist. Kindergarten- und Grundschulkinder halten sich spontan die Ohren zu, um sich vor großem LĂ€rm zu schĂŒtzen. Grundschullehrer(-innen) erleben, dass insbesondere Kinder, die gerade eingeschult wurden, sich ĂŒber die LautstĂ€rke im Klassenzimmer beschweren und fordern nach Hause gehen zu können.
LÀrm, den wir selbst machen, stört uns jedoch nicht so sehr wie der, der anderen.

Schwerhörigkeit und andere BeeintrÀchtigungen durch LÀrm

Der Deutsche Berufsverband der Hals- Nasen- OhrenÀrzte weist auf seiner InternetprÀsenz darauf hin, dass immer mehr Jugendliche sich eine dauerhafte Schwerhörigkeit zuziehen.
Nicht immer meiden wir einen hohen GerÀuschpegel. Manchmal suchen wir ihn geradezu.
Anhaltender, lauter Musikkonsum ĂŒber Kopfhörer sowie auf Life-Konzerten wird bei Kindern und Jugendlichen als Ursachen fĂŒr eine zunehmende Schwerhörigkeit angegeben.
Das sollte uns beunruhigen. Immer mehr wissenschaftliche Belege zeigen, dass LÀrm auch in anderer Hinsicht krank macht. LÀrm ist eine Art Umweltverschmutzung. Er schÀdigt unseren Körper und unsere Seele.
Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Bluthochdruck werden durch zu viel LĂ€rm verursacht.
FĂŒr den Alltag von SchĂŒlerinnen und SchĂŒler sind vor allem lĂ€rmbedingte schlechte Konzentrations- und MerkfĂ€higkeit von Bedeutung. Zu viel LĂ€rm macht außerdem Angst.
Neben VerkehrslÀrm erzeugt durch Autos und Flugzeuge, hat die WHO im Oktober 2018 auf den schÀdigenden LÀrm, der von WindrÀdern ausgeht, aufmerksam gemacht. Von all diesem LÀrm sind Kinder betroffen.
Kinder und Jugendliche besuchen darĂŒber hinaus laute Veranstaltungen in ihrer Freizeit. Es sind nicht nur Konzerte, sondern auch Fitnesskurse, Freizeitparks mit viel Animation oder Open Air-Sportveranstaltungen, beispielsweise Fußballspiele.

Ideen fĂŒr RuherĂ€ume

Kinder verbringen immer mehr Zeit in der Schule. Wo aber können Kinder und Jugendliche in der Schule zur Ruhe kommen und Stille erfahren?
Wie ist es in den Pausen, in der Sporthalle, der Mensa oder in den AufenthaltsrĂ€umen? Kinder brauchen nicht nur Bewegung in den Pausen, sie brauchen auch RĂŒckzugsmöglichkeiten.
In Kitas werden RuherĂ€ume zunehmend selbstverstĂ€ndlich. Auch fĂŒr Grundschulkinder, die das Angebot von Ganztagsschulen wahrnehmen, gibt es manchmal RuherĂ€ume.
Bei der Gestaltung von RuherÀumen, ist ein stark reduzierter LÀrmpegel nur ein Faktor unter vielen, der die Entspannung der Kinder erleichtert. Die leisen Töne sind eingebettet in ein Entspannungskonzept.
Aus ihrer Altenpflegearbeit und ihrer Arbeit mit Menschen mit Behinderungen entwickelten zwei hollĂ€ndische Zivildienstleistende das Konzept der sog. SnoezelenrĂ€ume. Elemente davon kann man auch in der Schule fĂŒr die Einrichtung von RuherĂ€umen anwenden. Leise meditative Musik gehört in einen Ruheraum. Weitere Gestaltungsmöglichkeiten wie bequeme Sitz- und Liegemöglichkeiten, verschiedene Lichtquellen sowie eine entspannende Farbgestaltung, befördern Ruhe und Entspannung. Auch mit Aromen, die man aus der Aromatherapie kennt, kann gearbeitet werden. Lavendel mildert beispielsweise Angst.
In diesen RĂ€umen können Kinder erleben, dass Ruhe gut fĂŒr sie ist, sie konzentrierter und gesprĂ€chsbereiter werden. Dort können sie „auftanken“, beispielsweise fĂŒr die nĂ€chste Arbeitsphase am Nachmittag.
Anregungen zur Einrichtung eines solchen Raumes kann man beispielsweise auf dem Internetportal fĂŒr Alternative PĂ€dagogik und Privatschulen besser-bilden.de finden.
Ohne Frage kosten RuherĂ€ume Geld. Außerdem mĂŒssen RuherĂ€ume von pĂ€dagogischem Personal beaufsichtigt werden. Je nach BedĂŒrfnissen der Besucherinnen und Besucher des Raumes können und sollten die RĂ€ume verĂ€ndert werden.
Ein Ruheraum der sich stÀrker an den sog. SnoezelenrÀumen orientiert, kann einen Beitrag zur Inklusion leisten. Die Anzahl der Grundschulkinder, die in der Betreuung anspruchsvoll sind, nimmt zu.
Die VorzĂŒge von RuherĂ€umen sind leicht nachvollziehbar. Manchmal scheitern jedoch alle Ideale bereits an den geltenden Brandschutzbestimmungen in Schulen. So manches Sofa, das in einer ruhigen Ecke in der Schule steht, wird aus BrandschutzgrĂŒnden entfernt.

Besserer Schallschutz in Schulen

Viele Schulen sollen und werden in den nÀchsten Jahren umgebaut, erneuert und saniert werden.
Mit den Umbaumaßnahmen ergibt sich die Chance, den Schallschutz in Schulen zu verbessern.
Immer hĂ€ufiger werden BĂŒrorĂ€ume in großen Firmen bereits nach Schallschutzkriterien eingerichtet, um die Gesundheit der Mitarbeiter/-innen zu erhalten. Man arbeitet mit Deckenverkleidungen, die LĂ€rm aufnehmen oder mit sog. Akustikbildern an den WĂ€nden, um Dröhnen und Hall oder andere HintergrundgerĂ€usche zu verringern. Schulen haben in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf.
Geht es darum, welche Fenster eingebaut werden, ist nicht nur wichtig, energieeffiziente Lösungen zu finden, sondern auch den LĂ€rmschutz fĂŒr Kinder zu beachten. Wir brauchen ein vitaminreiches Mittagessen fĂŒr unsere Kinder in Mensen und Cafeterien in einer akustisch angenehmen Umgebung.
Das optimale Hörspektrum gesunder Kinder soll möglichst lange erhalten bleiben.
Damit LĂ€rmschutz aber auch eine gute Akustik in Schulen kein Zufall bleibt, ist der Rat von Expert/-innen gefragt.
Elternvertreter/-innen haben die Möglichkeit das Thema auf der Schulkonferenz ansprechen.

Mehr Phasen der Stille zuhause

Eltern können zuhause ihrerseits ebenfalls ĂŒber Möglichkeiten nachdenken, beispielweise das Wohnzimmer abends oder am Wochenende durch ruhige Hörerlebnisse in entspannter AtmosphĂ€re gelegentlich zu einer Art Ruheraum umzufunktionieren.
Kinder haben oft selbst gute Ideen, wie man aus einem Raum einen „Ruheraum“ machen kann. Je nach Alter werden die Ideen etwas anders ausfallen. GemĂŒtlichkeit, gemeinsam auf Phantasiereisen gehen und/oder meditative Musik hören, sind fast immer Teil eines solchen Ruheerlebnisses.
Kinder können erfahren wie viel Kraft und Wohlbefinden fĂŒr sie daraus entstehen kann. Die meisten von uns sind fĂŒr stille Phasen als Kontrastprogramm zum lauten Alltag sehr aufgeschlossen.
Stille erleben sollte nie eine Strafaktion sein. Leider war das in der Vergangenheit oft so. Heute werden Kinder nur in AusnahmefĂ€llen, vorĂŒbergehend isoliert und in die stille Abgeschiedenheit „verbannt“, wenn es Probleme gibt.
Eltern und Kinder erleben oft abends beim Vorlesen vorm Schlafen eine „Phase der Ruhe und Stille“. Diese Zeit kann eine innige Verbindung zwischen Kinder und Eltern schaffen. Meistens entspannen sich sowohl Kinder als auch Eltern dabei.

Kommentar: „Sitz still.“ war gestern

In der Ruhe liegt die Kraft. Ruhe und Stille sind nicht immer identisch. Die Stille kann aber helfen, zur Ruhe zu kommen, wieder zu sich zu finden.
Auf Kommando Stillsitzen und/oder artig sein, gehörte fĂŒr Schulkinder in der Vergangenheit zu ihrem Alltag. Die verordnete Stille war bedrĂŒckend, mit Starrheit verbunden und wenig kindgerecht. Manchmal ist Stille auch heute noch bedrĂŒckend. Sie kann fĂŒr Sprachlosigkeit stehen, wenn es besser wĂ€re ĂŒber ein Problem zu reden.
Aber, in unserer technisierten Welt mĂŒssen wir uns sicher vor zunehmendem LĂ€rm schĂŒtzen. Vor allem ĂŒber Kopfhörer kommt leicht zu viel LĂ€rm an empfindliche Kinderohren.
Heute wird es fĂŒr Kinder darĂŒber hinaus zunehmend darum gehen mit mehr Stille, zu mehr Ruhe und innerer Ausgeglichenheit zu gelangen. Die meisten von uns mĂŒssen lernen bewusst wahrzunehmen, wie und wann wir „zugedröhnt“ werden. Es ist eine tĂ€gliche Herausforderung, sich vor LĂ€rmbelĂ€stigung zu schĂŒtzen.
Auch den LĂ€rm, den wir selbst verursachen, können wir der Gemeinschaft zuliebe reduzieren. Dem kindlichen Drang nach Bewegung tut ein deutlich reduzierter LĂ€rmpegel keinen Abbruch. Zum GlĂŒck können wir uns auch still und leise bewegen, wenn wir das wollen.

Buchtipps:

BĂŒcken-Schaal M. Meditationen und StilleĂŒbungen fĂŒr Kinder. In Kindergarten, Grundschule und Kinderkirche (KinderspiritualitĂ€t) Don Bosco Medien 2013

Sauer, I. et al. Übungen der Stille und der Konzentration: Wege zur Entspannung durch Montessori, Mit Audio-CD (1. Bis 4. Klasse) BroschĂŒre Auer Verlag in der AAP Lehrerfachverlage 2015

Linktipp:

InternetprĂ€senz fĂŒr Alternative PĂ€dagogik und Privatschulen

Beitrag teilen:
Themen:
LĂ€rm
Ruheraum
Stille
Schwerhörigkeit
Veranstaltungen
Schallschutz
Gesundheit
Über den Autor/die Autorin
Foto der lernando-Autorin Hildegard Dierks

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin fĂŒr verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zĂ€hlen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestĂŒtztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

Weitere BeitrÀge lesen