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Vom Opfer zum TĂ€ter - Mobbing ist kein Kavaliersdelikt!

Ein Junge sitzt zusammengesunken im Schulflur
Wissen und Bildung
© Slonov - iStockphoto.com
von Christine Kammerer

Beim Mobbing gibt es einen TĂ€ter und ein Opfer. Das ist die weit verbreitete Meinung und meist erscheint es auf den ersten Blick auch so, als ob sich beide Rollen klar identifizieren lassen. Doch meist ist der Verursacher einer Mobbing-Situation auch selbst ein Opfer und oft wird ĂŒberhaupt erst dadurch zum Mobber. So werden aus Opfern TĂ€ter. Deswegen lohnt es sich bei Mobbing-Delikten ganz genau hinzusehen.

Lesedauer:
4 min

Welche Motive stehen hinter der Tat? Inwieweit hat das Opfer selbst Anteil an der misslichen Lage? Nicht selten fĂŒhrt diese Analyse trotz intensiver BemĂŒhungen in die Leere. Dann erweist es sich als notwendig, Gewalt – ob verbal oder körperlich – sofort an Ort und Stelle zu unterbinden und die zugrunde liegenden Konflikte mit UnterstĂŒtzung von professioneller Hilfe zu klĂ€ren und zu lösen.

Mobbing an der Schule

Kinder und Jugendliche, die sich gegenseitig anpöbeln, abwerten, miteinander streiten und rangeln gehören zum Schulalltag. Problematisch wird es dann, wenn einzelne SchĂŒler herausgegriffen und systematisch ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum hinweg drangsaliert werden. Dann kann es sich um Mobbing handeln, das im schulischen Kontext oft auch synonym als „Bullying“ bezeichnet wird. Die Schikanen treffen hĂ€ufig Kinder und Jugendliche, die eher passiv sind, schwĂ€cher und Ă€ngstlicher erscheinen oder aber solche, die andere durch bestimmte Eigenschaften oder ihr Verhalten provozieren. Mobbing kann direkt durch körperliche oder verbale Attacken oder indirekt durch soziale Isolierung erfolgen. In beiden FĂ€llen ist der Leidensdruck fĂŒr die Betroffenen hoch und die Situation muss in jedem Falle ernst genommen werden, denn die Folgen können bis hin zur Schulverweigerung oder sogar zum Suizid reichen. Dennoch fĂ€llt eine klare Analyse der Situation hĂ€ufig schwer. Hier kommt es meist schnell zu Schuldzuweisungen, die keinem der Beteiligten und auch dem zugrunde liegenden Konflikt selbst nicht gerecht werden.

Mobbing – schwierige Ursachenforschung

Jugendliche, die gemobbt werden, sehen sich selbst als Opfer und werden oft auch von anderen fĂŒr die Erniedrigungen und Beleidigungen, die sie erdulden mĂŒssen, bemitleidet. Vielfach erleiden sie solche Attacken tatsĂ€chlich ohne eigenes Zutun, doch so ganz unschuldig sind sie oft auch selbst nicht daran – vor allem in den Augen ihrer MitschĂŒler. Das ergab eine schwedische Studie der Forscher Robert Thornberg und Sven Knutsen von der Linköping-UniversitĂ€t. Befragt wurden insgesamt 176 Gymnasiasten, die zu diesem Zeitpunkt 15 und 16 Jahre alt waren. WĂ€hrend also Schulforscher Wolfgang Melzer von der TU Dresden Mobbing in der Schule nicht auf bestimmte TĂ€ter- oder Opferpersönlichkeiten zurĂŒckfĂŒhrt, sondern auf das Schulklima, sehen die Teenager das vollkommen anders: Die GrĂŒnde fĂŒr Mobbing liegen aus ihrer Sicht eher in der Person oder in den persönlichen Eigenheiten und Verhaltensweisen des Opfers und nicht so sehr im sozialen Umfeld. WĂ€hrend die Clique noch mit immerhin 21 Prozent als möglicher Verursacher genannt wird und die Schule mit sieben Prozent, ist die Gesellschaft fĂŒr sie praktisch nicht mehr relevant. MĂ€dchen suchten die „Schuld“ eher beim Verursacher als beim Opfer. Der Begriff der Schuld ist hier ganz bewusst mit AnfĂŒhrungszeichen versehen, denn an der unterschiedlichen Sicht der Dinge lĂ€sst sich leicht festmachen, wie schwer es ist, die Schuldfrage wirklich zweifelsfrei zu klĂ€ren.

Vom Opfer zum TĂ€ter

69 Prozent der Jugendlichen, die im Rahmen der schwedischen Studie befragt wurden, machten im Rahmen dieser Untersuchung das Opfer selbst fĂŒr die Mobbing-Situation verantwortlich. Das Risiko ist nach ihrer Auffassung besonders dann hoch, wenn das Opfer bestimmte charakterliche SchwĂ€chen aufweist. Zu den hĂ€ufigste Mobbing-Auslösern in der Person des Opfers gehören demnach Unsicherheit und mangelndes Selbstbewusstsein, das ausgeprĂ€gte BedĂŒrfnis nach Macht, Status und Beliebtheit. FĂŒr 42 Prozent der Befragten war das Opfer allerdings auch dann verantwortlich, wenn es Abweichungen von der Norm aufwies, also nach ihrer Auffassung "anders" oder "komisch" war.
Auch dieser Sichtweise muss man bei einer Aufarbeitung von Mobbing-Situationen Rechnung tragen. Denn wie Psychotherapeuten nahe legen, kann das Verhalten der Opfer durchaus provozierend sein, auch ohne dass diese sich darĂŒber bewusst sind. Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es von verdeckter Aggression geprĂ€gt ist. Und spĂ€testens dann kehrt sich die TĂ€ter-Opfer-Hierarchie um, denn der passiv-aggressive Verursacher prĂ€sentiert sich selbst gerne in der Opfer-Rolle. Insofern wĂ€re es generell besser, angesichts von Mobbing nicht von „TĂ€tern“ oder „Opfern“ zu sprechen, sondern ganz neutral von Verursachern.

PrÀvention und Intervention bei Mobbing

Generell lohnt es sich, SchĂŒler im Auge zu behalten, die in der Klasse nicht ausreichend integriert sind. Meist ist dies auf ganz bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zurĂŒckzufĂŒhren, die zur (Selbst-)Ausgrenzung fĂŒhren. Diese SchĂŒler genießen nicht den Schutz und die SolidaritĂ€t der Klasse und geraten dadurch leichter in eine Opferrolle. Sie erfĂŒllen alle Voraussetzungen fĂŒr den klassischen Mobbing-Kontext.
Erwachsene, die Zeugen von Mobbing-VorfĂ€llen werden, sollten unmittelbar intervenieren, indem sie Stellung beziehen und ein klares Stopp-Signal setzen. Sie sollten in der akuten Situation nicht das Thema Mobbing abstrakt diskutieren, sondern sich klar auf die inakzeptablen Aktionen wie Beleidigen oder Erniedrigen beziehen und diesen sofort ein Ende setzen. Hier darf also durchaus eine autoritĂ€re Intervention durch verbale Zurechtweisungen stattfinden. Je nach Situation kann es anschließend notwendig sein, GesprĂ€che mit den Betroffenen fĂŒhren. Dann können auch eigens dafĂŒr ausgebildete FachkrĂ€fte wie Schulpsychologen oder Mediatoren zum Einsatz kommen, die mit Opfer und TĂ€ter, der Klasse, den Eltern, Lehrern etc. sprechen. Letztlich geht es dabei oft gar nicht so sehr darum, die Schuldfrage wirklich abschließend zu klĂ€ren, sondern den Konflikt auf eine fĂŒr alle Beteiligten befriedigende Weise aus der Welt zu schaffen.

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt fĂŒr Migration und FlĂŒchtlinge, Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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