Eingreifen oder wegsehen? - Wenn Kinder streiten

Entwicklung und Erziehung
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von Ulrike Lindner
"Das ist meins, gib das her", brüllt Lisa ihren dreijährigen Bruder an, der sich gerade das Kissen geschnappt hat, das seine ältere Schwester am liebsten mag. Aber der Jüngere macht keine Anstalten nachzugeben...
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"Das ist meins, gib das her", brüllt Lisa ihren dreijährigen Bruder an, der sich gerade das Kissen geschnappt hat, das seine ältere Schwester am liebsten mag. Aber der Jüngere macht keine Anstalten nachzugeben, sondern umklammert das Streitobjekt nur noch fester. Innerhalb von Sekunden wird so aus einem friedlichen gemeinsamen Fernsehnachmittag ein heftiger Streit - Alltag in vielen Familien.

Für Eltern ist das nicht immer leicht auszuhalten - Geschrei, Tränen, Aufeinanderlosgehen sind laut und anstrengend und sorgen dafür, dass auch bei den Erwachsenen die Nerven schnell blank liegen. Kein Wunder, dass für viele dann gleich einschreiten und mit einem elterlichen Machtwort für Ruhe sorgen. Experten raten genau davon allerdings ab. Statt einzugreifen sollten Eltern erst einmal abwarten und den Kindern die Gelegenheit geben, ihre Konflikte zu lösen. Nur wenn Gewalt im Spiel ist oder die Kleinen ihre Konflikte offensichtlich nicht in den Griff bekommen, ist sorgfältig dosierte elterliche Unterstützung sinnvoll.

Streit ist wichtig

Ein solches Vorgehen lässt sich leichter aushalten, wenn klar ist, dass Streit sinnvoll und wichtig ist. So nervenaufreibend gerade das Streiten unter Geschwisterkindern ist, für ihre Entwicklung ist es unverzichtbar. Als soziale Wesen sind wir darauf angewiesen, in einer Gruppe zurecht zu kommen, auch im Konfliktfall. Genau das wird in der Kindheit trainiert, idealerweise im geschützten Raum der Familie. Anders als Erwachsene können kleine Kinder ihre Emotionen noch nicht gut kontrollieren, zudem fehlen ihnen oft die Worte, um ihre Bedürfnisse auszudrücken. Im Konfliktfall greifen sie deshalb zu den Verhaltensweisen, die sie kenne: Schubsen, Hauen, Schreien etc. Das heißt nicht automatisch, dass streitende Kinder böse oder aggressiv sind. Im Streit lernen sie vielmehr sich durchzusetzen und wichtige Bedürfnisse zu vertreten.
Zum Beispiel:
  • sich von anderen abzugrenzen,
  • den eigenen Standpunkte zu vertreten,
  • Besitzverhältnisse zu klären,
  • ihren Status innerhalb einer Gruppe auszuloten
  • ihre Kräfte zu messen
  • Aufmerksamkeit zu erregen
Eltern können mit solchen Auseinandersetzungen oft schlechter umgehen, als ihre Kinder und neigen daher dazu, eher zu früh als zu spät einzugreifen. Gedankt wird ihnen das selten - oft sind beide Streithähne beleidigt, weil keiner seinen Standpunkt durchsetzen konnte und sich nun beide benachteiligt fühlen. Oder ein Kind fühlt sich ungerecht behandelt, während das andere seinen "Sieg" nicht richtig genießen kann.

Was Eltern tun können

Für Eltern gilt deshalb, dass sie sich möglichst lange aus dem kindlichen Streit heraushalten sollten und nach Möglichkeit sogar aus dem Sichtbereich der Streitenden verschwinden sollten. Oft streiten Kinder nämlich heftiger und grober oder weinen lauter und jammervoller, wenn sie beobachtet werden - um Mama oder Papa auf ihre Seite zu ziehen. Nur wenn es zu grob wird, ist Eingreifen sinnvoll. Machen Sie dann eindeutig klar, dass Schlagen oder Beißen nicht in Ordnung sind und als Mittel der Auseinandersetzung nicht akzeptabel sind. Bleiben Sie dabei konsequent und vermeiden es, Partei für einen der Kontrahenten zu ergreifen. Wenn die Kinder alt genug sind, um diese zu verstehen, können in einer ruhigen Minute gemeinsame Streitregeln besprochen werden, auf die Sie sich im Ernstfall beziehen können.

Sinnvoll ist es zudem, den eigenen Anteil am Kinderstreit zu bedenken. Streiten kann auch ein ausgezeichnetes Mittel sein, Aufmerksamkeit zu erregen, sowohl bei anderen Kindern, als auch bei Erwachsenen. Wenn Eltern bemerken, dass sie ihren Kindern vor allem dann Beachtung schenken, wenn diese streiten, kann das ein guter Anlass sein, nach anderen Wegen zu suchen, um gemeinsame Zeit zu verbringen.

Für Einzelkinder ist die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen ebenfalls wichtig. Wem die Erfahrung fehlt, sich gegen andere durchzusetzen, stößt spätestens in der Kita oder Grundschule schnell an seine Grenzen. Regelmäßige Spielkontakte, Krippen- und Kitabesuch können dann helfen, das Streiten zu lernen. Auch hier gilt: Wenn die Kleinen sich in der Sandkiste um die Schaufel streiten, haben Mama oder Papa dabei nichts zu suchen. Und auch wenn keine Gleichaltrigen dabei sind: Einzelkinder profitieren auch in der Familie davon, wenn ihre Eltern nicht immer nachgeben und Verständnis zeigen.
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Über den Autor/die Autorin

Ulrike Lindner hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste, Berlin, studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Werbetexterin und Moderatorin.

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