Weichei oder ganzer Kerl - männliches Rollenverhalten

Entwicklung und Erziehung
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von Christine Kammerer
Es sind längst nicht mehr die althergebrachten männlichen Tugenden, die an deutschen Schulen zählen, sondern die weiblichen: Anpassungs- und Kommunikationsfähigkeit punkten, Dominanzstreben und Aggression, also die klassischen Eigenschaften, die Männern in mehr oder weniger starker Ausprägung in allen Kulturkreisen zugeschrieben werden, sind dagegen nicht erwünscht.
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Wenn männliche Tugenden ins Abseits führen

Männliche Jugendliche haben es doppelt schwer, ihre Rolle zu finden. Zum einen fehlt es überall an männlichen Vorbildern, die ihnen bei der Identitätsfindung behilflich sein können, zum anderen haben gerade jene Schüler, die sich nicht durch schulische Leistungen hervor tun und zugleich meist aus einem Umfeld stammen, in dem traditionell männliche Rollenvorstellungen vorherrschen, Probleme mit dem Selbstwertgefühl: In einer Gesellschaft, die sich vorwiegend über Leistung definiert haben sie das Bedürfnis, sich wenigstens auf einem Gebiet als “starke Kerle” zu präsentieren und kompensieren so ihre Leistungsschwächen in klassischen Männerdomänen - der Aggression und häufig auch dem Einsatz von Körperkraft.

Sie begeben sich damit nicht selten in ein doppeltes Abseits: Als “Schulversager” haben sie ohnehin schlechte Chancen auf Erfolg und sie verstärken diese Ausgrenzung, indem sie gegen das schulische und später gegen das gesellschaftliche System opponieren. Sie tendieren dazu, eine <>Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft auszubilden, die sich dadurch definiert, dass sie überlebte Ideale der Männlichkeit zum Maßstab erhebt und “weibisches” Verhalten diskriminiert.

Klischees polarisieren

Männlichkeits-Ideale sind nicht nur von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich, sie unterliegen auch einem starken sozialen Wandel und es existiert derzeit schlicht kein Männerbild, das in dem Sinne gesellschaftsfähig wäre, als es von einer breiten Mehrheit mitgetragen würde. Stereotype Muster wie der Mann als Familienoberhaupt und Ernährer haben ausgedient, die Verantwortung für das Wohl der Familie wird häufig von Frauen getragen.

Wenn aber keine positive Identifikationsmöglichkeit gegeben ist, sind polarisierende Zuschreibungen schnell bei der Hand. So werden schon männliche Jugendliche frühzeitig in Kategorien eingestuft, die gegensätzlicher kaum sein könnten und vor allem die vermeintlichen Schwächen fokussieren: Die einen gelten oft schon allein aufgrund von Äußerlichkeiten wie Kleidung, Körperbau und provozierender Verhaltensweisen als dominant und aggressiv, die anderen wegen ebenso oberflächlicher Merkmale als Weicheier. Und diese Zuschreibungen werden nur allzu häufig unreflektiert von den Jugendlichen selbst übernommen, wenn ihnen keine Alternativen entgegen gesetzt werden.

Stärken herausarbeiten

Die Verunsicherung überwiegt - nicht nur bei den Jugendlichen, sondern insbesondere auch bei ihren Eltern.

Diese erleben, dass ihr Kind entweder besonders viel Körpereinsatz zeigt oder sich eben im Gegensatz dazu besonders zurückhaltend verhält. Das Augenmerk sollte sich dabei jedoch weniger den gefürchteten Klischees zuwenden, sondern vielmehr den individuellen Stärken der Heranwachsenden.

Dabei ist es hilfreich, eingefahrene Denkschemata zu hinterfragen: Was ist das eigentlich - ein Weichei? Im Allgemeinen verstehen wir darunter Männer, die sich nicht durch Härte und (körperliche) Stärke auszeichnen, sondern durch Sensitivität und Nachgiebigkeit. Was dabei selten gesehen wird, ist, dass beide Qualitäten sehr positive Aspekte beinhalten, die durchaus als Stärke empfunden und gelebt werden können. Denn Soft Skills, also “weiche Fähigkeiten” wie zum Beispiel Einfühlungsvermögen, sind nicht nur im Beruf mindestens ebenso wichtig wie Durchsetzungsfähigkeit.

Reifung der Gesamtpersönlichkeit

Beide Grundstrukturen können zur Reifung der Gesamtpersönlichkeit beitragen, wenn ihre Entwicklung entsprechend gefördert wird.

Impulsive Jugendliche entwickeln sich nicht automatisch zu gewalttätigen Erwachsenen und aus zurückhaltenden Teenagern werden nicht zwangsläufig erfolglose Softies.

Die eigentliche Stärke erweist sich dort, wo Jugendliche Kontur zeigen und selbstbewusst Stellung beziehen, ohne zu sozial inakzeptabeln Verhaltensweisen wie Gewalt greifen zu müssen, weil sie keine anderen Handlungsmöglichkeiten erlernt und verinnerlicht haben. Fest steht, dass es um die beruflichen Aussichten von Jungs mit gut entwickelten sozialen Kompetenzen weitaus besser bestellt ist.

Für männliche Jugendliche, die in diesem Bereich noch Defizite haben, werden derzeit etliche Initiativen bundesweit ins Leben gerufen, um ihr Spektrum an Verhaltensmöglichkeiten zu bereichern. Ein Ziel dieser Aktivitäten ist zum Beispiel, sie für die Mitarbeit an sozialen Projekten zu gewinnen und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen sollen auf diese Weise Soft Skills gefördert werden und zum anderen ist gerade in den sozialen Berufen männlicher Nachwuchs mit so genannten “weiblichen Qualitäten” sehr gefragt, so dass auch Jugendliche mit weniger guten schulischen Leistungen dort eine echte Chance auf berufliche Integration vorfinden.

Links

Typisch männlich – typisch weiblich?
www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/..

Kerle in der Krise - Was ist ein Mann?
Schon immer stand die männliche Identität unter dem Druck, sich wandeln zu müssen.
http://www.tagesspiegel.de/wissen/..

Neue Wege für Jungs - bundesweites Netzwerk und Fachportal zur Berufswahl und Lebensplanung von Jungen
www.neue-wege-fuer-jungs.de
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Klischees
Rollenverhalten
Männerbild
Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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