"Gewaltvideos" – Gewaltprävention und Neue Medien

Entwicklung und Erziehung
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von Hildegard Dierks

Negative Wirkungen von Videoaufnahmen, in denen Gewalt verherrlichende Szenen zu sehen sind, sind in Schule und Familie ein Dauerthema. Jugendliche suchen den Kick bei aggressiven Computerspielen, schauen Gewaltfilme am Computer oder drehen kurze Gewaltvideos selbst mit ihren Handys, die dann im Internet hoch geladen werden und dort schnelle Verbreitung finden.

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Neue Formen von Gewaltvideos im Leben der Jugendlichen


Gewaltvideos mit Handys aufgenommen, ist bekannt als das sogenannte „Happy Slapping“. Beim sogenannten „Happy-Slapping“ werden Mitschüler, manchmal Lehrer, oder gänzlich unbekannte Menschen auf der Straße geschlagen, drangsaliert, im krassen Einzelfall sogar ermordet. Die Attacke wird mit dem Handy gefilmt, im Internet hochgeladen und einer breiten Öffentlichkeit zugeführt.

Bekannt gewordene Fälle erfahren ein großes Medienecho, so dass die gefühlte Dimension dieser Form von Gewalttätigkeit möglicherweise höher ist als die wirkliche Bedrohung. Auf der anderen Seite geht man von einer hohen Dunkelziffer aus, da Taten aus Angst und Scham nicht angezeigt werden. Es gibt sogar Hinweise dafür, dass gewalttätige Szenen gespielt werden und dann - echt erscheinend - im Internet hoch geladen werden.

Laut der Jugendstudie JIM 2009 hat jedoch zumindest jeder dritte Jugendliche schon einmal eine mit dem Handy aufgezeichnete Prügelszene mitbekommen.

Gewaltvideos mit dem Handy zu drehen und sie über das Internet zu verbreiten ist kein Kavaliersdelikt oder vergleichbar mit einer Balgerei auf dem Schulhof sondern eine Straftat. Das ist vielen Schülerinnen und Schülern nicht klar.

Es geht um Straftaten wie Körperverletzung, Beleidigung, Verstoß gegen das Recht auf das eigene Bild, unterlassene Hilfeleistung oder die Verbreitung von Gewaltvideos. Warum ein Teil der Jugendlichen in dieser Form kriminell wird, ist nicht genau geklärt. Der Kriminologe Professor Pfeiffer sieht darin bei Jungen eine Form gelebter Machokultur.

Machtgefühle ausleben, jugendliche Bedürfnisse berühmt zu werden übers Internet, Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren und sich abzugrenzen von den sogenannten Opfern spielen aus psychologischer Sicht vermutlich eine Rolle. Der Austausch solcher Videos wirkt oft als Sensation im Vergleich zum tristen, erfolglosen Alltag. Die Kehrseite ist, dass Jugendliche verrohen und Ängste entwickeln.

 

Medienerziehung ist erforderlich: Fortbildungen


Mobilfunkgeräte gibt es und wir müssen lernen mit den negativen Seiten dieser neuen Technologie umzugehen, Regeln im Umgang zu finden.

Die technische Entwicklung ist gerade im Bereich Mobilfunk so rasant, dass das technische Wissen von Lehrern und Eltern und der verantwortliche Umgang mit dieser Technik nicht von der Elterngeneration an die Kinder in ausreichendem Maße weitergegeben werden kann. Lehrer und Eltern müssen sich fortbilden, zumindest ein starkes persönliches Interesse zeigen, wenn es darum geht die Foto- und Videofunktionen eines Handys kennen zu lernen, will man Kinder nicht allein lassen mit potenzieller Handykriminalität.

Themen der Fortbildung sollten sein, die technischen Abläufe für die Verbreitung von Gewaltvideos kurz kennen zu lernen, mögliche psychologischen Motive zu erfahren, strafrechtliche Zusammenhänge zu sehen, vor allem Materialien für den Unterricht zu erhalten.

In einer Studie der Medienanstalt Hamburg Schleswig Holstein von 2007 wird klar, dass Gewaltvideos auf Handys (Erstellen und Verbreiten) insbesondere bei Hauptschülern ab dem 16. Lebensjahr zu finden sind. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Fortbildung bei Lehrern, die diese Schülergruppe unterrichten.
 

Gewaltprävention an Schulen


Die Problematik „Gewaltvideos auf Handys“ war schon früh an der ehemaligen niedersächsischen Alfred-Tewes Hauptschule (die Schule ist inzwischen geschlossen) ein Thema. Marcus Lüpke, ein Lehrer dieser Schule, entwickelte ein medienpädagogisch motiviertes Gewaltprävention-Projekt, das überregionale Bedeutung erfuhr.

Empfohlen wird die Gründung einer Anti-Gewalt-AG unter Beteiligung von Lehrern, Schülern, Eltern und Schulleitung. Diese hat die Aufgabe eine Handy-Schulordnung zu erstellen, Veranstaltungen zu organisieren und Informationen zu beschaffen sowie ein Präventionskonzept für die jeweilige Schule zu entwickeln.

Um das mögliche Ausmaß und die Art der Gewaltvideos erfassen zu können, gehört das Thema auf die Agenda einer pädagogischen Konferenz. Dort sollte das Präventionskonzept vorgestellt werden und über Maßnahmen abgestimmt werden. Die Arbeitsgruppe muss Kontakt zur Polizei herstellen sowie zu anderen städtischen Einrichtungen, beispielweise zur Ausländerbeauftragten der Stadt sowie zum Jugendamt.

Eltern sollten auf Elternabenden einbezogen werden, um über die Problematik informiert zu werden, auch um Informationen zur strafrechtlichen Relevanz zu erhalten.

Ein Kernpunkt der Aufgaben dieser Arbeitsgruppe muss es darüber hinaus sein, eine Handy-Ordnung auszuarbeiten, und vor allem die Einhaltung der Regeln zu überprüfen und Konsequenzen zu ziehen bei Nicht-Einhaltung.

Schüler im konstruktiven Umgang mit Konflikten zu stärken, sie zu kräftigen für das Durchstehen von Belastungssituationen und Angebote für ihre soziale Entwicklung zu machen, ist ebenfalls Bestandteil des Gewaltpräventation-Programms.

Besonders wichtig ist, Schüler mit einzubeziehen, denn diese kennen „die Geheimnisse“ um die Entstehung von Gewaltvideos auf Handys und wo sie abgespeichert werden.

Aktuell engagiert sich das Informationszentrum Mobilfunk e.V. im besonderen Maße für eine Sensibilisierung für das Thema „Gewaltvideos auf Handy“. Dieses Zentrum produzierte unter anderem in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei der Länder und des Bundes den Film „Handygewalt“ und erstellte ein Gesamtmedienpaket mit dem Titel „Abseits?!“.

Der Film, wurde auf dem Festival European Crime Convention im April 2011 mit einem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet, weil der Film besonders Kinder und Jugendliche gut für das Thema sensibilisiert, die Opferperspektive und die rechtlichen Konsequenzen aufgezeigt werden.

Das Gesamt-Medienpaket „Abseits?!“ besteht aus einer DVD mit sechs Einheiten, die typische Gewaltszenen aufzeigen sowie aus Materialien für Lehrer.

Das Medienpaket kann beim Informationszentrum Mobilfunk e.V. bestellt werden. Begleitmaterialien zum Film können auf der Website herunter geladen werden.

 

Kommentar: Neue Medien beliebt, verführerisch und bedrohlich


Das sogenannte „Happy Slapping“ macht deutlich wie wichtig es ist, das Streben und den Wunsch junger Menschen nach Anerkennung zu sehen, und Formen zu finden diesem Wunsch auch über die bei jungen Leuten so beliebten neuen Medien nachkommen zu können.

Neue Medien konstruktiv und kritisch aber nicht aggressiv nutzen können, darum muss es gehen. Jedes Gewaltvideo, was nicht gefilmt wird, hoch geladen und verbreitet wird, ist gut.

Vermutlich wird nur ein sehr kleiner Teil Jugendlicher in dieser Form kriminell sein oder werden, aber die Tatsache, dass es diese Form von Gewalt gibt, wirkt sich auf die Befindlichkeit aller Jugendlichen, ja auf uns alle aus.

Jeder könnte zum Opfer dieser Form von Gewalt werden. Eine besondere Gefahr liegt darin, dass das Handy fast immer dabei ist, um Gewaltvideos zu drehen und zu verbreiten. Die Verfügbarkeit ist verführerisch und bedrohlich. Das Ausmaß an körperlicher und psychischer Gewalt, dem wir ausgesetzt sind, zum einen im wirklichen Leben und zum anderen durch Medien induziert, ist erheblich. Die Prävention von Gewalt geht uns deshalb alle an.

 

Links & Literatur


Links

Website von Schulprojekt Mobilfunk des Informationszentrums Mobilfunk
www.schulprojekt-mobilfunk.de

Tipps im Umgang mit mobiler Kommunikation
www.handysektor.de

Informationen zur Handy-Nutzung Jugendlicher
www.mediaculture-online.de/Handys.1080.0.html


Buchtipp:

Lüpke, Marcus und Neumann, Ulf
Gewaltprävention 2.0: Digitale Herausforderungen
Schüren Verlag 2010

 

 

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Über den Autor/die Autorin

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

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