Wenn die Ernährung zur Wissenschaft wird
- Nahrungsmittelallergien nehmen zu

Entwicklung und Erziehung
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von Bettina Levecke
Nahrungsmittelallergien entwickeln sich oft schleichend, setzen Betroffene aber unter große Schwierigkeiten. Was kann ich noch essen und was nicht? Experten empfehlen vor allem eine gute Diagnostik.
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Nahrungsmittelallergien entwickeln sich oft schleichend, setzen Betroffene aber unter große Schwierigkeiten. Was kann ich noch essen und was nicht? Experten empfehlen vor allem eine gute Diagnostik.

Alles wird komplizierter

Früher gab es auf Kindergeburtstagen einfach Kakao und Schokokuchen für alle. Gegessen wurde, was auf den Tisch kommt und fast jeder hat es vertragen. Heute sieht sie Sache komplizierter aus. Da verträgt das eine Kind keine Kuhmilch, das andere reagiert auf Nüsse oder Ei. Kuchenbacken für eine ganze Kinderschar wird dann zur Knobelaufgabe: Was darf rein und was nicht? Und wie gelingt das Ausnahme-Rezept? Es ist nicht nur ein gefühltes Problem, bestätigt Professor Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim: „Die Nahrungsmittelallergien nehmen, wie alle anderen Allergien auch, zu." Ursachen für diese Entwicklung gibt es viele.

Moderne Lebensmittel sind immer komplexer zusammengesetzt, beinhalten oft dutzende Inhaltsstoffe. Viele davon, besonders Zusatzstoffe und E-Nummern, stehen unter Verdacht, die Allergiebereitschaft im Körper zu erhöhen. Eine weitere Ursache könnte auch zu viel Hygiene sein: Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder von Bauernhöfen weniger zu Allergien neigen als Stadtkinder. Das Spiel in Matsch und Dreck stimuliert das Immunsystem. Zu starke hygienische Bedingungen in der Stadtwohnung können es unterfordern, es bilden sich weniger regulierende Immunzellen im kindlichen Körper. Doch warum haben manche Menschen ein Leben lang mit Allergien zu kämpfen und andere überhaupt nicht? Die Ursachen liegen auch in den Genen. Forscher des Helmholtz Zentrums München haben die Genome von mehr als 10.000 Erwachsenen und Kindern aus ganz Deutschland untersucht und dabei ein Gen namens FCER1A entdeckt. Dieses Gen kann die Serumspiegel von IgE-Antikörpern erhöhen, die sich bei allergischen Personen gegen im Grunde harmlose Umweltsubstanzen richten. Die Folge: Der Körper erzeugt eine Abwehrreaktion, die Allergie.

Die Symptome: Von schwach bis heftig

Hautausschlag oder juckende Quaddeln nach dem Sojapudding, ein Kratzen im Hals nach dem Apfelverzehr, das sind Symptome, die viele Menschen kennen, die bestimmte Nahrungsmittel nicht vertragen. Bei schwereren Verläufen können auch Übelkeit bis hin zu Erbrechen auftreten. Auch Asthma-Anfälle oder ein lebenbedrohlicher, sogenannter anaphylaktischer Schock sind möglich. Nahrungsmittelallergien zeigen sich in der Regel nicht von heute auf morgen: Meistens beginnt es mit einzelnen Lebensmitteln und leichten Symptomen und wird im Laufe der Zeit immer stärker. Dieser „allergische Marsch“ ist für Eltern und ihre betroffenen Kinder oft nur schwer nachvollziehen und verunsichert. Man merkt, dass etwas nicht stimmt und manche Lebensmittel anscheinend nicht vertragen werden. Doch welche sind das genau? Was darf das Kind noch essen und was nicht? Zudem: Nicht immer spüren Kinder direkt nach dem Verzehr eine allergische Reaktion, manchmal setzt diese auch erst Stunden nach dem Essen ein und ist dann kaum oder nur schwer mit diesem in Verbindung zu bringen.

Um unnötige Vermeidungshaltungen und Ängste aufzulösen, ist der erste Schritt eine umfassende Diagnostik, empfehlen Experten. Eltern sollten ihr Kind nicht einfach auf Diät setzen oder auf Verdacht irgendwelche Lebensmittel vom Speiseplan streichen, ohne genau zu wissen, was los ist. Besser ist es, für Klarheit zu sorgen und das am besten mit einer Allergieuntersuchung beim Facharzt.

Der Test beweist: Allergie oder Unverträglichkeit

Für Laien ist kaum zu unterscheiden, ob der Körper aufgrund einer Allergie oder einer Unverträglichkeit Probleme macht. Denn: Viele Intoleranzen verursachen ganz ähnliche Symptome wie echte Allergien. So kann eine Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit), unter der in Deutschland rund 15 Prozent der Bevölkerung leiden, typische Allergiesymptome, wie Durchfall, Nesselsucht oder Blähungen hervorrufen. Denkbar ist in vielen Fällen auch ein Reizdarmsyndrom, zum Beispiel wenn häufig Durchfälle oder Unterbauchschmerzen auftreten. Worunter das Kind leidet, klärt ein genaues Diagnosegespräch und ggf. ein Allergietest.

Standardverfahren sind hierbei die Blutanalyse und der Prick-Test auf der Haut: Bei diesem werden verdächtige Allergene in Tropfenform auf die Innenseite des Unterarms gegeben. Mit einer feinen Lanzette wird die Haut kaum spürbar eingestochen, so dass die Allergene in die Haut eindringen können. Bei einer bestehenden Allergie reagiert der kleine Patient innerhalb kürzester Zeit, die jeweilige Stelle juckt und rötet sich. Quaddeln treten auf.

Als zuverlässigste Methode, Allergien sicher nachzuweisen, gilt die Nahrungsmittelprovokation. Diese wird jedoch häufig nur in speziellen Kliniken eingesetzt. Dabei werden genau die Lebensmittel verabreicht, gegen die eine Allergie vermutet wird. Mittels Placebo-Gaben können auch subjektiv empfundene Symptome erkannt werden.

Die Behandlung

Wenn die Diagnose geklärt hat, welche Allergien vorliegen, beginnt man mit der Behandlung. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten. Bei klar begrenzten Allergien, wie z.B. gegen Milch, Fisch, Eier oder Soja, kann die Ernährung einfach so eingestellt werden, dass auf diese Lebensmittel konsequent verzichtet wird. Bei Kreuzallergie, z.B. der Kombination aus Birkenpollen und Steinobst, wird in der Regel eine Hyposensibilierung empfohlen. Hier erhält der Patient über ca. zwei Jahre in regelmäßigen Abständen Allergene in Minimengen verabreicht. Sein Immunsystem gewöhnt sich an die Allergene und bildet Antikörper, die Allergie lässt nach. Nach Angaben des Zentrums für Rhinologie und Allergologie tritt in etwa 50 Prozent der Fälle durch diese Therapie eine Besserung der Beschwerden ein. Gerade für Allergiker gilt die Empfehlung, möglichst auf Fertignahrung und stark verarbeitete Produkte zu verzichten und so oft wie es geht, frisch zu kochen. Eltern, deren Kind auf mehrere Lebensmittel allergisch reagiert, sollten sich auf jeden Fall die Unterstützung einer Ernährungsberatung suchen. Viele Allergologen bieten diesen Service im Rahmen ihrer Praxis an.

WICHTIG: Kinder mit starken Nahrungsmittelallergien, z.B. gegen Erdnüsse, sollten IMMER ihren Allergiepass und ggf. ihre Notfallmedikamente bei sich tragen.

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Über den Autor/die Autorin
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Bettina Levecke ist freie Journalistin aus der Nähe von Bremen. Ihre Themenschwerpunkte sind Gesundheit, Familie und Nachhaltigkeit.

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